Rapsöl in der Diskussion – Interview
Professor Dr. Jakob Linseisen
Professor Dr. Jakob Linseisen war von 2019 bis August 2022 Präsident der DGE und gehört seitdem als gewähltes Mitglied zum Wissenschaftlichen Präsidium der DGE. Er ist Leiter der DGE-Arbeitsgruppen „Personalisierte Ernährung“, „Themen der Ernährungsforschung“ und „(stark) verarbeitete Lebensmittel“ sowie Mitglied in den DGE-Arbeitsgruppen „Lebensmittelbezogene Ernährungsempfehlungen“, „Überarbeitung der Referenzwerte für die Zufuhr von essenziellen Fettsäuren und Fett“ sowie der Leitlinienkommission der evidenzbasierten Leitlinie zur Fettzufuhr und Prävention ausgewählter ernährungsmitbedingter Krankheiten. Prof. Linseisen leitet den Lehrstuhl für Epidemiologie der Universität Augsburg am Universitätsklinikum Augsburg. Sein wissenschaftlicher Fokus liegt auf der Erforschung des Zusammenspiels von Ernährung, Stoffwechsel und der Entstehung bzw. dem Verlauf chronischer Krankheiten.
DGE-Blog:
Herr Professor Linseisen, warum empfiehlt die DGE Rapsöl als bevorzugtes Öl in der Ernährung?
Jakob Linseisen:
Rapsöl zeichnet sich in erster Linie durch seine Fettsäurezusammensetzung aus. Diese macht es zu einem besonders hochwertigen Öl. Unter den pflanzlichen Ölen besitzt es einen besonders geringen Anteil an gesättigten Fettsäuren und einen hohen Anteil an einfach ungesättigten Fettsäuren. Im Vergleich zu anderen pflanzlichen Ölen wie z. B. Olivenöl enthält es aber mehr mehrfach ungesättigte Fettsäuren, darunter die n-3-Fettsäure α-Linolensäure, häufig ALA abgekürzt, und die n-6-Fettsäure Linolsäure, die für den Menschen essenziell sind. Hervorzuheben ist dabei das günstige Verhältnis von n-3- zu n-6-Fettsäuren in Rapsöl durch den hohen Anteil von ALA. Neben dem Fettsäuremuster ist auch der Gehalt an Vitamin E in Rapsöl vorteilhaft.
Zusätzlich zu den ernährungsphysiologischen Aspekten ist Rapsöl auch unter dem Gesichtspunkt der Nachhaltigkeit positiv zu bewerten.
Der Großteil der Rapsölsaaten stammt aus Deutschland sowie aus den direkten europäischen Nachbarstaaten. Dadurch sind die Transportwege kurz, dies wirkt sich positiv auf die Klimabilanz aus; dazu liegt die Wertschöpfung bei heimischen Betrieben. So wirkt sich die Verwendung von Rapsöl als einheimisches Öl doppelt positiv aus.
Durch diese vorteilhaften Eigenschaften und seine vielfältigen Einsatzmöglichkeiten in der Küche, es kann sowohl kalt als auch heiß verwendet werden, ist Rapsöl sehr gut als Standardöl geeignet.
Neben dem Fettsäuremuster ist auch der Gehalt an Vitamin E in Rapsöl vorteilhaft.
DGE-Blog:
Gerade α-Linolensäure bzw. der regelmäßige Konsum von α-linolensäurereichen Ölen und Nüssen wird mit einem erhöhten Risiko für Krebserkrankungen in Zusammenhang gebracht. Wie ist dies zu bewerten?
Jakob Linseisen:
Das Interesse an diesem Zusammenhang wurde u. a. durch epidemiologische Studien geweckt, die eine Risikoerhöhung für einzelne Krebskrankheiten in Verbindung mit der Zufuhr einiger mehrfach ungesättigter Fettsäuren beobachten konnten. Bei der systematischen Überprüfung dieser These anhand wissenschaftlicher Methoden konnten aber weder die DGE-Leitlinie zur Fettzufuhr noch der World Cancer Report diesen Zusammenhang bestätigen; somit kann Entwarnung gegeben werden. Eine Obergrenze für ALA wird weder von der Europäischen Sicherheitsbehörde (European Food Safety Authority, EFSA) noch vom Bundesinstitut für Risikobewertung (BfR) ausgesprochen, die Zufuhr kann somit als sicher angesehen werden.
Daher sprechen sich sowohl die DGE als auch die EFSA für eine Zufuhr von ALA in Höhe von 0,5 % der Gesamtenergiezufuhr aus. Gute Lieferanten für ALA sind neben Rapsöl auch Lein-, Walnuss- und Sojaöl.
Vielmehr ist zu beachten, dass ALA eine essenzielle Fettsäure ist, auf deren Zufuhr der Körper angewiesen ist. Ein Mangel an n-3-Fettsäuren wie ALA kann u. a. zu Sehstörungen, Muskelschwäche und Zittern führen. Daher sprechen sich sowohl die DGE als auch die EFSA für eine Zufuhr von ALA in Höhe von 0,5 % der Gesamtenergiezufuhr aus. Gute Lieferanten für ALA sind neben Rapsöl auch Lein-, Walnuss- und Sojaöl. Zudem weist ALA einige gesundheitsförderliche Eigenschaften auf, die in der Primärprävention von ernährungsmitbedingten Krankheiten eine wesentliche Rolle spielen, insbesondere ihr günstiger Einfluss auf Blutlipide, auf das Immunsystem oder die neurologische Entwicklung bei Kindern.
DGE-Blog:
Rapsöl ist auch aufgrund seines Erucasäuregehalts in die Kritik geraten, insbesondere für die Ernährung von Säuglingen und Kleinkindern. Wie ist Ihre Einschätzung dazu?
Jakob Linseisen:
Gerade bei Aspekten der Risikobewertung stützt die DGE ihre Aussagen auch auf Bewertungen darauf spezialisierter Fachgesellschaften wie dem BfR, der EFSA und dem World Cancer Report. So stellt nach Einschätzung des BfR aus dem Jahr 2021 die Verwendung von in Deutschland handelsüblichem Rapsöl für die Säuglingsnahrung kein Problem dar. Für die Zufuhr von ALA spricht die EFSA sogar Health Claims für gesundheitlichen Nutzen, gerade für die neurologische Entwicklung, aus.
Für die Zufuhr von ALA spricht die EFSA sogar Health Claims für gesundheitlichen Nutzen, gerade für die neurologische Entwicklung, aus.
DGE-Blog:
Kritiker bemängeln, dass die Fettleitlinie aus dem Jahr 2015 überarbeitet werden muss, weil es Evidenz gäbe, welche die Aussagen widerlegen. Halten Sie diese Kritik für berechtigt?
Jakob Linseisen:
Der DGE wird immer mal wieder ein „Hinterherhinken“ in Bezug auf die Umsetzung aktueller Erkenntnisse vorgeworfen und Aussagen als starr und veraltet dargestellt. Diese Ansicht möchte ich eindeutig zurückweisen.
In der Regel verändern Ergebnisse aus einer einzelnen neuen Studie nicht die evidenzbasierten Aussagen. Es müssten schon mehrere Studien mit deutlichen Ergebnissen vorliegen, um die wissenschaftliche Sachlage zu verändern. Wir beobachten selbstverständlich die neueren Publikationen, immer mit der Frage, ob nicht doch Anpassungen erfolgen sollten. In diesem Fall ist es so, dass zwischenzeitlich veröffentlichte neuere Metaanalysen die Aussagen der DGE unterstreichen, dass es eine Risikosenkung von kardiovaskulären Erkrankungen und koronaren Herzerkrankungen bzw. keinen Zusammenhang zwischen Krebs und der Zufuhr von ALA gibt.
Die Datenlage zeigt die präventive Wirkung von 1 bis 2,5 Esslöffel Rapsöl pro Tag gegenüber Herz-Kreislauf-Erkrankungen, welche den Mengen an pflanzlichen Ölen innerhalb der Orientierungswerte der DGE für eine vollwertige Ernährung entspricht.
Grundsätzlich ist es so, dass die DGE zum Thema Fett in der Primärprävention verschiedene Empfehlungen herausgibt, bei denen Qualität und Quantität, also Fettsäurezusammensetzung, Fettmenge und -quellen in der Ernährung des Menschen, berücksichtigt werden.
Die Leitlinien der DGE werden nach höchstem wissenschaftlichen Standard erarbeitet. Unsere Empfehlungen werden nach umfassender systematischer Recherche und Auswertung der zu einer bestimmten Fragestellung vorliegenden Literatur durch Expert*innengruppen abgeleitet und immer im Gesamtkontext der menschlichen Ernährung gesehen. Die Aussagen beruhen also auf der zum Zeitpunkt der Erstellung verfügbaren Evidenz. So wird im Leitlinientext transparent und nach einem vorher beschriebenen methodischen Vorgehen die Beurteilung der vergebenen Evidenzen dargelegt. Diese Methodik ist für alle frei im Internet verfügbar und einsehbar.
Die Leitlinien der DGE werden nach höchstem wissenschaftlichen Standard erarbeitet.
DGE-Blog:
Herr Professor Linseisen, wie würden Sie die Diskussion um einzelne Lebensmittel oder Nährstoffe wie in dem Fall Rapsöl und α-Linolensäure abschließend beurteilen?
Jakob Linseisen:
Wichtiger als eine Diskussion über einzelne Nährstoffe oder die Nährstoffrelation ist für die Gesundheitsförderung aus Sicht der DGE die Qualität der Ernährung insgesamt.
Dabei ist neben einer dem Verbrauch angemessenen Kalorienzufuhr unter anderem ein höherer Verzehr von nährstoffreichen Lebensmitteln wie bspw. Vollkorn, Hülsenfrüchte, Gemüse und Obst sowie ein niedrigerer Verzehr von einfachen Kohlenhydraten in Form von zugesetztem Zucker und raffinierter Stärke von Bedeutung. So ist auch der Verzehr von Rapsöl bzw. ALA als Beitrag im Rahmen einer ausgewogenen Ernährung zu betrachten.
DGE-Blog:
Vielen Dank für das Gespräch.
Informationen zur DGE-Leitlinie zur Fettzufuhr und Prävention ausgewählter ernährungsmitbedinger Krankheiten sowie zur Bewertung der wissenschaftlichen Evidenz finden Sie auf unserer Website im Bereich „Häufig gestellte Fragen und Antworten“.
Ausführlichere Publikationen zu Fett und Fettsäuren:
• Deutsche Gesellschaft für Ernährung e. V., Österreichische Gesellschaft für Ernährung, Schweizerische Gesellschaft für Ernährung (Hrsg.): Referenzwerte für die Nährstoffzufuhr, Bonn, 2. Auflage, 7. aktualisierte Ausgabe (2021)
• Deutsche Gesellschaft für Ernährung e. V. (Hrsg.): Fettzufuhr und Prävention ausgewählter ernährungsmitbedingter Krankheiten – Evidenzbasierte Leitlinie, Bonn, 2. Version (2015)
• Deutsche Gesellschaft für Ernährung e. V. (Hrsg.): Vollwertig essen und trinken nach den 10 Regeln der DGE. Ausführliche Version, Bonn (2018)
• Deutsche Gesellschaft für Ernährung e. V. (Hrsg.): DGE Position. Richtwerte für die Energiezufuhr aus Kohlenhydraten und Fett. (2011)
Fraglich ist, inwiefern ALA bei hoher Erhitzung stabil bleibt? Rabsöl wird üblicherweise für die Verwendung als Brat- und Kochöl genutzt – weniger für die kalte Küche. Wie hitzestabil ist zudem kalt gepresstes Rapsöl?
Liebe Frau Bisovsky,
vielen Dank für Ihre Fragen. Inwiefern ALA bei hoher Erhitzung stabil bleibt, können wir Ihnen leider nicht eindeutig beantworten. Hierzu liegen uns keine Forschungsergebnisse vor.
Rapsöl wird jedoch aufgrund seiner Fettsäurezusammensetzung auch als Brat- und Frittierfett empfohlen. Es ist relativ hitzestabil. Rapsöl besitzt unter den pflanzlichen Ölen einen besonders geringen Anteil an gesättigten Fettsäuren und einen hohen Anteil an einfach und mehrfach ungesättigten Fettsäuren. Das macht es so wertvoll. Rapsöl können Sie auch aus Nachhaltigkeitsgesichtspunkten als „das Standardöl“ in ihrer Küche nutzen.
Keinen Unterschied macht es, ob Sie raffiniertes oder natives Rapsöl zum Erhitzen in der Küche einsetzen. Lediglich der Rauchpunkt ist beim nativen Rapsöl etwas niedriger. Dass das so ist, liegt allerdings nicht an den ungesättigten Fettsäuren, sondern daran, dass flüchtige Komponenten wie Wasser, freie Fettsäuren oder auch kurzkettige Oxidationsabbauprodukte abdampfen.
Das MRI hat im Bereich der Lipidforschung verschiedene „FAQs zur Erhitzung von Pflanzenölen bei der Lebensmittelzubereitung in der Küche“ erarbeitet. Sie geben Antworten auf weitere Fragen rund um das Thema: https://www.mri.bund.de/de/institute/sicherheit-und-qualitaet-bei-getreide/bereich-lipidforschung/faq-erhitzung-pflanzenoele/