Nachhaltige Verpflegung langfristig denken – mit verbindlichen DGE-Qualitätsstandards
Warum ist eine Zertifizierung auf Grundlage der DGE-Qualitätsstandards sinnvoll? Was ist das Ziel einer solchen Zertifizierung? Wo liegen die Herausforderungen bei der Umsetzung der DGE-Qualitätsstandards?
Interview mit Esther Schnur I DGE-Referat Gemeinschaftsverpflegung
Esther Schnur
Esther Schnur ist Diplom-Oecotrophologin und stellvertretende Leiterin im Referat Gemeinschaftsverpflegung und Qualitätssicherung bei der Deutschen Gesellschaft für Ernährung e.V. (DGE). Sie steht für Fragen zur Gemeinschaftsverpflegung sowie DGE-Zertifizierung zur Verfügung und publiziert regelmäßig in Fachzeitschriften. Esther Schnur erarbeitet Unterstützungsmaterial für Betriebe und Einrichtungen, die sich von der DGE zertifizieren lassen möchten.
Esther Schnur ist Ernährungswissenschaftlerin und arbeitet bei der Deutschen Gesellschaft für Ernährung e. V. (DGE). Sie betreut u. a. Einrichtungen der Gemeinschaftsverpflegung sowie Caterer bei der Zertifizierung für ein vollwertiges Verpflegungsangebot nach den DGE-Qualitätsstandards. Im Interview auf DGE-Blog berichtet Esther Schnur aus ihrem Arbeitsalltag.
DGE-Blog:
Die DGE bietet Einrichtungen der Gemeinschaftsverpflegung und -gastronomie sowie Caterern, die diese Einrichtungen beliefern, die Möglichkeit, ein vollwertiges Verpflegungsangebot durch die DGE-Zertifizierung auszeichnen zu lassen. Was beinhaltet das?
Esther Schnur:
Vom Umfang her haben alle, die sich zertifizieren lassen wollen, einen Vertrag mit der DGE über mindestens drei Jahre. Das Ziel ist: gesundheitsfördernde und nachhaltige Verpflegung langfristig zu leben und zu denken.
Dadurch ist auch gesichert, dass auf fachliche Veränderungen regelmäßig reagiert wird. So hat sich beispielsweise in den letzten Jahren mehr und mehr die Erkenntnis durchgesetzt, dass Hülsenfrüchte ein wertvolles Lebensmittel sind und diese regelmäßig in den Speiseplan eingebaut werden sollten. Oder das Stichwort „Speiseöl“: Als ich vor rund 40 Jahren ein Praktikum in einer Krankenhausküche gemacht habe, wurde Sonnenblumen- und Maiskeimöl verwendet. Heute empfehlen wir aufgrund wissenschaftlicher Daten Rapsöl.
DGE-Blog:
Wie läuft das in der Praxis ab?
Esther Schnur:
Grundelement der Zertifizierung ist das Audit vor Ort. Auch wenn dies scheinbar nur eine Momentaufnahme darstellt, so können die Auditorinnen*innen, z. B. über die Prüfung von Speisenplänen aus der Vergangenheit feststellen, ob die Grundsätze des DGE-Qualitätsstandards in den übrigen Wochen realisiert werden. Ein gutes Bild über die gelebte Praxis entsteht auch durch die intensiven Gespräche mit den Mitarbeitenden sowie durch die Beobachtung des Ablaufs bei der Zubereitung. Ein*e erfahrene*r Auditor*in kann daraus viele Rückschlüsse ziehen. Wenn sie*er in den Betrieb kommt und im Lager nur 1 kg Vollkornmehl vorhanden ist und dann liegen da noch 25 Kilo Weizenmehl, ist schnell klar, dass im Regelbetrieb kein Vollkornmehl verwendet wird. Auch überprüfen die Auditor*innen die Lieferscheine, die eine Menge über die Qualität der gelieferten Ware aussagen.
DGE-Blog:
Wenn ein Auditor oder eine Auditorin eine Abweichung feststellt, gibt es dann Konsequenzen?
Esther Schnur:
Natürlich, wenn ein Punkt nicht erfüllt wurde, gibt es eine Abwertung. Und je nachdem, wie viele Punkte nicht erfüllt sind, kann es auch passieren, dass der Betrieb das Audit erst einmal nicht besteht. Es gibt aber in jedem Fall die Option auf eine Nachbesserung. Nur in ganz seltenen Fällen klappt das nicht.
Außer-Haus-Verpflegung
Die Gemeinschaftsverpflegung in Deutschland ist unterschiedlich organisiert und wird von öffentlichen Trägern, privaten Unternehmen und gemeinnützigen Organisationen bereitgestellt. Für die Produktion und Lieferung der Mahlzeiten werden oft externe Dienstleister*innen beauftragt, welche die Verpflegung vorbereiten und liefern. Weitere Informationen zur Gemeinschaftsverpflegung finden Sie auch in der Januar Ausgabe des DGE Wissenschaftsmagazins 1|23.
DGE-Blog:
Welche Vorteile hat eine DGE-Zertifizierung für die Unternehmen oder Einrichtungen?
Esther Schnur:
Klar ist, eine Zertifizierung kostet Arbeit und Mühe, der Prozess ist aber meist sehr positiv für die Teamentwicklung und der Speiseplan wird abwechslungsreicher. So leisten Einrichtungen der Gemeinschaftsverpflegung und -gastronomie oder Caterer, die diese beliefern, einen wertvollen Beitrag zur gesundheitsfördernden und nachhaltigen Verpflegung ihrer Tischgäste.
So darf sich der Speiseplan beispielsweise frühestens nach 4 Wochen wiederholen. Neben zufriedenen Gästen und einem Kompetenzgewinn für die Mitarbeitenden bietet eine bestandene Zertifizierung einen wichtigen Image- bzw. Wettbewerbsvorteil.
Mit bestandenem Audit erhalten die Einrichtungen oder Caterer ein Logo, mit welchem sie ihr Verpflegungsangebot aktiv bewerben können. Das Logo garantiert eine gleichbleibend hohe Qualität der Verpflegung und schafft somit auch Transparenz und Vertrauen den Einrichtungen/ Caterern gegenüber. Auf Wunsch werden DGE-zertifizierte Unternehmen auch auf der Internetseite der DGE als Referenz aufgenommen.
DGE-Blog:
Es gibt immer wieder Institutionen und Unternehmen, die damit werben, dass ihr Verpflegungsangebot auf Basis des DGE-Qualitätsstandards zusammengestellt ist. Ist das eine gute Entwicklung?
Esther Schnur:
Es zeigt zumindest, dass die DGE-Qualitätsstandards als Synonym für Qualitätssicherung in der Außer-Haus-Verpflegung „angekommen sind“ und wahrgenommen werden. Allerdings sind die Kriterien vielschichtig und wenn wir in eine Ausschreibung oder in ein Essensangebot genauer reinschauen, dann stellen wir oft fest, dass das tatsächliche Angebot nicht den Kriterien der DGE-Qualitätsstandards entspricht.
Selbst ausschreibenden Stellen von Städten oder Kommunen ist oft nicht bewusst, wie vielschichtig die DGE-Qualitätsstandards sind. Sie wissen dann nur, die sind anerkannt und das Essen entspricht daher bestimmten Qualitätskriterien. Unsicherheit besteht häufig von Seiten der ausschreibenden Stelle bei der Bewertung derartiger Aussagen.
DGE-Blog:
Wie merken Sie, dass die Angaben eines Essensanbieters in Bezug auf die Einhaltung der DGE-Qualitätsstandards nicht stimmen können?
Esther Schnur:
Wenn ein Anbieter zum Beispiel damit wirbt, das Speisenangebot erfolge zu 100 % auf Basis des „DGE-Qualitätsstandard für die Verpflegung in Kitas“ und wir sehen, dass pro Woche im Mittagessen 4 x Fleisch angeboten wird und Gemüse fehlt, kann das einfach nicht stimmen. Rechtlich betrachtet, geht das in Richtung einer Verbrauchertäuschung. Mir ist allerdings nicht bekannt, dass es da bereits gerichtliche Auseinandersetzungen gab.
Ein Speiseplan allein auf dem Papier kann nicht alles abbilden, deshalb ist die Überprüfung vor Ort wichtig. Ein Beispiel: Rapsöl sollte grundsätzlich bei der Speisenzubereitung verwendet werden. Stehen z. B. Bratkartoffeln mit grünen Bohnen und Schnitzel auf dem Speiseplan, sehe ich nicht die Fettqualität. Auch kann ich nicht erkennen, ob die Bohnen frisch, tiefgekühlt oder aus der Konserve sind. Bei Backofenkartoffeln mit Quark-Dip stellt sich die Frage nach der Qualität des Milchproduktes? Einem Speisenplan kann ich vieles nicht ansehen.
DGE-Qualitätsstandards
Kriterien für eine gesundheitsfördernde und nachhaltige Verpflegung in Gemeinschaftseinrichtungen bieten die fünf DGE-Qualitätsstandards.
DGE-Blog:
Was können Eltern, Träger*innen oder ausschreibende Stellen tun, wenn Sie mit Aussagen wie „Wir sind von der DGE zertifiziert“ oder „Wir setzen den DGE-Qualitätsstandard um“ konfrontiert werden?
Esther Schnur:
Bei einer DGE-Zertifizierung liegt immer ein gültiges Zertifikat vor – das muss der Betrieb dann auf Anfrage zur Verfügung stellen können. Oder Sie fragen bei uns im Referat nach. Mit Hilfe unserer Datenbank lässt sich mit ein paar Klicks leicht feststellen, ob es ein gültiges Zertifikat gibt oder nicht. Und wenn jemand versucht zu schummeln, gehen wir dem in jedem Fall nach. So sind wir vor kurzem auf ein gefälschtes Zertifikat aufmerksam gemacht worden und haben den Vorgang zur Anzeige gebracht. Das war wirklich dreist.
Wenn ein Caterer „nur“ damit wirbt, er würde den DGE-Qualitätsstandard umsetzten, hilft zunächst ein Blick auf den Speiseplan. Wie oft es Fleisch, Fisch, Gemüse, Obst und Vollkornprodukte gibt, lässt sich meist leicht anhand des Speiseplans erkennen. Und wenn die Häufigkeiten schon nicht stimmen, ist eine weitere Prüfung meist nicht mehr notwendig. Sprechen Sie den Caterer auf Ihre Feststellung an und konkretisieren Sie bei einer evtl. Ausschreibung ganz genau, was von dem Speisenangebot erwartet wird. Wird dabei Unterstützung benötigt, ist das DGE-Referat Gemeinschaftsverpflegung auch eine Anlaufstelle.
DGE-Blog:
Wo liegen die Schwierigkeiten, die DGE-Qualitätsstandards in der Außer-Haus-Verpflegung in Deutschland verbindlich umsetzten?
Esther Schnur:
Der Bereich der Gemeinschaftsverpflegung und-gastronomie ist ein bisschen wie eine Blackbox. Wir wissen nicht genau, wie viele Schulen zum Beispiel überhaupt ein Mittagessen anbieten. Täglich essen mehr als 17 Millionen Menschen in Deutschland in Einrichtungen wie Schule, Kita, Betriebskantine oder in Kliniken. Aktuell sind aber nur knapp 1.900 Anbietende einer Außer-Haus-Verpflegung von der DGE für ihr Angebot zertifiziert.
Noch gibt es keine bundeseinheitliche Regelung, welche die DGE-Qualitätsstandards über alle Lebenswelten verpflichtend macht. Die Forderung danach kommt nicht zuletzt aus den Ernährungswissenschaften, weil wir sehen, dass die Verpflegung auf Basis der DGE-Qualitätsstandards aus fachlicher Sicht das Optimum darstellt. Zudem könnte damit eine einheitlich hohe Qualität in der Gemeinschaftsverpflegung und -gastronomie sichergestellt und Transparenz geschaffen werden.
DGE-Blog:
Vielen Dank für das Gespräch.