Personalisierte Ernährung – wie geht das?
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Prof. Dr. Christina Holzapfel leitet zusammen mit Prof. Dr. Britta Renner die Arbeitsgruppe (AG) „Personalisierte Ernährung“ bei der Deutschen Gesellschaft für Ernährung e.V. (DGE). Im Interview erzählt sie, was „Personalisierte Ernährung“ ist, welche neuesten Forschungsergebnisse die AG im 15. DGE-Ernährungsbericht veröffentlichte und womit sich die Arbeitsgruppe befasst. Auch die Erkenntnisse des kürzlich publizierten Fachartikels „Data in Personalized Nutrition: Bridging Biomedical, Psycho-behavioral, and Food Environment Approaches for Population-wide Impact“ (Linseisen J et al. 2025, Adv Nutr) fasst Holzapfel hier zusammen.
Prof. Dr. Christina Holzapfel

© DGE/Christian Augustin
... ist Ernährungswissenschaftlerin und eine der beiden Vorsitzenden der Arbeitsgruppe Personalisierte Ernährung der DGE. Sie ist Professorin für Humanernährung an der Hochschule für Angewandte Wissenschaften Fulda. Zudem leitet sie die Forschergruppe „Personalisierte Ernährung & eHealth“ am Institut für Ernährungsmedizin der Technischen Universität München.
Die multimodale Therapie der Adipositas ist ihr Forschungsschwerpunkt. Sie untersucht, ob und wie Genetik die Gewichtsregulation von Menschen beeinflusst und wie Therapieergebnisse durch personalisierte Methoden verbessert werden können.
Frau Prof. Dr. Holzapfel, Sie haben es mit einem agilen und spannenden Forschungsfeld zu tun.
Was ist Personalisierte Ernährung überhaupt?
Christina Holzapfel:
Diese Frage wird mir häufig gestellt. Als sich unsere Arbeitsgruppe 2021 gründete, haben wir viel darüber gesprochen, was alles zum Themenkomplex „Personalisierte Ernährung“ gehört. Wir sind eine Gruppe von Wissenschaftler*innen aus verschiedenen Disziplinen, wie Ernährungswissenschaften und Ernährungsmedizin, Public Health Nutrition, Psychologie, Genetik, Epidemiologie, Molekular- und Zellbiologie sowie Verhaltenswissenschaften. Das macht unsere Arbeit sowohl interessant als auch facettenreich und unsere Sicht auf die Dinge weit.
Zunächst haben wir eine umfassende Definition von Personalisierter Ernährung erarbeitet (siehe Kasten). Um Personalisierte Ernährung innovativ und interdisziplinär zu denken, haben wir ein neues Modell, das den Menschen in den Mittelpunkt rückt, entwickelt. Dieser Ansatz berücksichtigt neben den herkömmlichen Faktoren wie Lebensstil, Gesundheitsstatus, Risikofaktoren auch Fähigkeiten, Kapazitäten, Ziele und Zwänge eines Menschen innerhalb seines täglichen Lebens und sozialen Kontexts. Das heißt, Empfehlungen, Dienstleistungen oder Produkte werden auf personalisierte Ziele und Verhalten abgestimmt, welche zudem auf dynamischen, individuellen und nicht mehr nur auf statischen Daten basieren. Das Modell sieht ein „Just-in-Time“-Feedback vor sowie eine ständige situationsbedingte Adaption.
v.l.n.r.: Britta Renner, Kurt Gedrich, Paola Ferrario, Jan Wirsam, Christina Holzapfel, Hannelore Daniel, Jakob Linseisen, Anette Buyken, Stefan Lorkowski (AG Workshop im Mai 2024 in Konstanz), Foto: © Christian Hartz
Definition Personalisierte Ernährung (DGE-Arbeitsgruppe)
Personalisierte Ernährung wird als ein umfassender Ansatz verstanden, bei dem Empfehlungen und Dienstleistungen oder Produkte angeboten werden, die:
- auf die individuellen Bedarfe und Bedürfnisse von Personen abgestimmt sind;
- dem Erhalt oder Erwerb von Gesundheit und Wohlbefinden bzw. der Therapie von ernährungsmitbedingten Krankheiten (inkl. Lebensmittelintoleranzen) dienen und
- die Realisierung einer nachhaltigeren Ernährung (Umwelt, Tierwohl und Soziales) unterstützen.
Bisherige Konzepte der Personalisierten Ernährung basierten vor allem auf biomedizinischen Kenngrößen wie z. B. Blutparameter oder auch Genotyp und Mikrobiomsignatur. Ein Beispiel hierfür sind genbasierte individuelle Empfehlungen zur Gewichtsreduktion. Stimmt es, dass genbasierte Ernährungsempfehlungen beim Abnehmen unterstützen können?
Christina Holzapfel:
Richtig ist, dass Körpergewicht und Adipositas eine genetische Komponente aufweisen. Allerdings haben die bis heute gefundenen etwa 1.000 genetischen Loci jeweils nur einen geringen Effekt auf das Körpergewicht. Für die Praxisempfehlungen zur Gewichtsreduktion sind diese Forschungsergebnisse bis dato kaum relevant. Da gibt es effektivere Möglichkeiten, Gewicht zu verlieren – allen voran eine energiereduzierte ausgewogene Ernährung.
Es besteht ein wachsender, gewinnorientierter Markt, der verspricht, mit genbasierten Ernährungsempfehlungen schnell viel Gewicht zu verlieren. Teure genetische Tests stehen dabei am Anfang des Procederes. Aus wissenschaftlicher Sicht sind sie für Empfehlungen zum Abnehmen unnötig.
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Das „ICH-nehme-ab -Training für einen gesundheitsfördernden Lebensstil“ ist ein von der DGE entwickeltes Basisprogramm zum Gewichtsmanagement, also zur Gewichtsreduktion und langfristigen Stabilisierung des Gewichts.
Das Forscherteam um Prof. Dr. Christina Holzapfel und Prof. Dr. Hans Hauner evaluiert dieses Training derzeit. Hierfür werden in Fulda und München Erwachsene mit Adipositas gesucht. Die Studie wird an der Hochschule Fulda und am Institut für Ernährungsmedizin der Technischen Universität München durchgeführt.
Sie können an der Studie teilnehmen oder das Training in unserem Medienshop bestellen.
Und was hat es mit diesen genetischen Tests, den sogenannten „direct-to-consumer“-Tests, auf sich?
Christina Holzapfel:
Forschende fanden heraus, dass „direct-to-consumer“-Tests keinen Mehrwert für Menschen bieten, die beispielsweise Körpergewicht verlieren möchten. Die Funktion vieler Genorte, die im Rahmen dieser Tests untersucht werden, ist nicht umfänglich klar. Die untersuchten genetischen Informationen taugen somit nach jetzigem Wissensstand für individuelle Ernährungsempfehlungen nicht. Die aus den Ergebnissen abgeleiteten Ernährungsempfehlungen beinhalten daher in der Regel, energiereduziert zu essen und zu trinken. Meist gehen diese Empfehlungen mit einer ausgewogenen Ernährung einher, wie sie beispielsweise die DGE mit „Gut essen und trinken“ empfiehlt. Aus wissenschaftlicher Sicht ist für eine gesundheitsfördernde, nachhaltige Ernährung keine genetische Information nötig.
„direct-to-consumer“-Tests – wie sinnvoll sind sie?
Genbasierte Empfehlungen zur Gewichtsreduktion sind in Mode. Dabei werden Speichelproben von Menschen, die Körpergewicht verlieren möchten, auf vorausgewählte genetische Informationen untersucht. Aus wissenschaftlicher Sicht bieten „direct-to-consumer“-Tests keinen Mehrwert. Genetische Informationen weisen derzeit keine Tauglichkeit für individuelle Ernährungsempfehlungen auf.
Für Personalisierte Ernährung wird die Wichtigkeit von individuellen Daten, welche dynamisch und aktuell z. B. durch Apps oder Tools erfasst werden, betont.
Haben Sie dafür Beispiele und welche Chancen, Risiken oder auch Herausforderungen kommen da auf uns zu?
Christina Holzapfel:
Der Mensch an sich bietet hervorragende Möglichkeiten, um Daten zu generieren. Über sogenannte Wearables wie Aktivitätstracker, Armbänder, Smartwatches können Lebensstil- und Vitalparameter erfasst werden. Hierzu gehören z. B. körperliche Aktivität, Herzfrequenz, Schlafqualität. Über Apps, aber auch mobile Daten, beispielsweise GPS, können Ernährungsdaten, wie z. B. Mahlzeitenfotos, Ernährungsverhalten oder Ernährungsumgebung erhoben werden.
Auch Glukosesensoren, die man meist am Oberarm trägt, werden im Kontext der Personalisierten Ernährung gerne eingesetzt. Dadurch ist es den Menschen möglich, sich selbst zu beobachten und “Just-in-Time”-Feedback zu erhalten. Beispielsweise sieht man über Glukosesensoren die direkte Wirkung von Essen auf den Blutzuckerspiegel. Vor allem bei Kohlenhydraten steigt der Blutzuckerspiegel an, das lässt sich über eine App sofort erkennen. Auch lassen sich durch diese Selbstbeobachtung Zusammenhänge – zugeschnitten auf das jeweilige Individuum – ableiten. Vor allem Ansätze der künstlichen Intelligenz helfen dabei, dass diese Selbstbeobachtung sowie auch das Feedback schnell und einfach erfolgen.
Der Bereich der Personalisierten Ernährung ist sehr dynamisch und innovativ.
Welche zukünftigen Möglichkeiten sehen Sie dafür und wo besteht Forschungsbedarf?
Christina Holzapfel:
Der Forschungsbedarf liegt vor allem in zwei Bereichen: Daten generieren und verstehen, Anwendungen entwickeln und testen. Es ist wichtig, dass die Daten, die zum Teil sowieso erhoben werden, weil Menschen daran Spaß haben, ausgewertet und verstanden werden. Dadurch lassen sich Anwendungen, wie beispielsweise auf künstliche Intelligenz basierte Systeme entwickeln, die entsprechende personalisierte Ernährungsempfehlungen ableiten. Für den Wirksamkeitsnachweis, zum Beispiel auf das Essverhalten oder das Körpergewicht, sind Humaninterventionsstudien nötig.
Die AG Personalisierte Ernährung ist derzeit auf der Suche nach Fördermitteln, um das entwickelte Modell APNAS, ausgesprochen heißt es "Adaptive Personalized Nutrition Advice System", in die Anwendung zu bringen.
Vielen Dank für das Gespräch.
Weitere Informationen:
Fachartikel „Data in Personalized Nutrition: Bridging Biomedical, Psycho-behavioral, and Food Environment Approaches for Population-wide Impact“ (Linseisen J et al. 2025, Adv Nutr), 19. Januar 2025
ErnährungsRadar: Die Debatte um Diäten: Welche Rolle spielen die Gene bei Diäten? Interview mit Prof. Dr. Christina Holzapfel, Stand Januar 2025
15. DGE-Ernährungsbericht, veröffentlicht am 20. November 2024
Wissenschaftsmagazin DGEwissen 09/2022 mit dem Schwerpunktthema „Personalisierte Ernährung“, September 2022
DGE-Arbeitsgruppe "Personalisierte Ernährung"
Pressemeldungen:
Neues Modell zu Personalisierter Ernährung, veröffentlicht am 20. September 2023, abgerufen am 17. März 2025
Personalisierte Ernährung neu gedacht, veröffentlicht am 31. August 2022, abgerufen am 17. März 2025
Wissenschaftliches Symposium 2022 zum Thema: „Personalisierte Ernährung neu gedacht“