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Planetary Health Diet und DGE-Ernährungsempfehlungen – 5 Fragen an die Ernährungswissenschaften

Was sind die Unterschiede und welches sind die Gemeinsamkeiten zwischen der Planetary Health Diet und den-Ernährungsempfehlungen der Deutschen Gesellschaft für Ernährung e. V.? Wie lässt sich die Idee der EAT-Lancet-Kommission für einen globalen und nachhaltigeren Speiseplan praktisch umsetzen?

Interview mit Prof. Dr. Bernhard Watzl und Anne Carolin Schäfer

Prof. Dr. Bernhard Watzl

Prof. Dr. Bernhard Watzl ist Vizepräsident der DGE und Leiter i. R. des Instituts für Physiologie und Biochemie der Ernährung am Max-Rubner-Institut, Bundesforschungsinstitut für Ernährung und Lebensmittel, Karlsruhe. Er ist Vorsitzender der DGE-Arbeitsgruppen „Lebensmittelbezogene Ernährungsempfehlungen“ und „Evidenzbasierte Leitlinie: Proteinzufuhr und Prävention ausgewählter ernährungsmitbedingter Krankheiten“. Seine experimentellen Arbeiten liegen im Bereich der immunmodulatorischen Wirkungen verschiedener Lebensmittelinhaltsstoffe. Auf der Ebene der Lebensmittel steht deren präventive Wirkung im Mittelpunkt seiner Arbeit.

Um die Menschen auf der Erde nachhaltig und gesund zu ernähren, braucht es eine Wende in der Ernährungsweise. Das ist auch das Ziel der Planetary Health Diet, der Idee für einen „globalen Speiseplan“. Entwickelt haben ihn 37 Wissenschaftler*innen aus unterschiedlichen Disziplinen und 16 Ländern der EAT-Lancet-Kommission.

Seit der Veröffentlichung im Jahr 2019 hat dieser Ansatz viel Zuspruch erhalten und wird sowohl national als auch international diskutiert. Vor kurzem veröffentlichte die Deutsche Gesellschaft für Ernährung e. V. (DGE) eine Stellungnahme zur Einordnung der Planetary Health Diet für Deutschland. Ein Fazit daraus lautet: „Die Herausforderung bleibt die praktische Umsetzung in der Bevölkerung.“

Im folgenden Interview erläutert Prof. Dr. Bernhard Watzl, Vizepräsident der DGE und Leiter i. R. des Instituts für Physiologie und Biochemie der Ernährung am Max-Rubner-Institut (MRI), Bundesforschungsinstitut für Ernährung und Lebensmittel, Karlsruhe, in einer Gegenüberstellung von Planetary Health Diet und den DGE-Ernährungsempfehlungen die Herausforderungen.

Anne Carolin Schäfer aus dem DGE-Referat Wissenschaft bietet praktischen Einblick in den aktuellen Stand zur Weiterentwicklung der Ernährungsempfehlungen der DGE, auf Englisch: Food-Based Dietary Guideline, FBDG.

DGE-Blog:
Sehr geehrter Herr Prof. Watzl, wo liegen nach Ihrer Einschätzung die Gemeinsamkeiten und die Unterschiede zwischen den Empfehlungen der Planetary Health Diet und den DGE-Ernährungsempfehlungen?

Anne Carolin Schäfer

Anne Carolin Schäfer ist Oecotrophologin (M.Sc.) und Mitarbeiterin im DGE-Referat Wissenschaft. Sie ist Mitglied der DGE-Arbeitsgruppe „Lebensmittelbezogene Ernährungsempfehlungen“ und koordiniert den Überarbeitungsprozess. Sie promoviert unter Betreuung von Prof. Dr. Ute Nöthlings und Prof. Dr. Heiner Boeing zur Integration verschiedener Nachhaltigkeitsdimensionen in lebensmittelbezogene Ernährungsempfehlungen durch mathematische Optimierung.

Bernhard Watzl:
Die Ableitungen der beiden Ernährungsempfehlungen beruhen auf unterschiedlichen Schwerpunkten. Die Planetary Health Diet berücksichtigt neben der Gesundheit als zentrale Dimension vor allem die Umwelt.

Der Fokus bei der Ableitung der Orientierungswerte der DGE liegt auf einer adäquaten Nährstoffzufuhr unter Berücksichtigung weiterer gesundheitsfördernder Eigenschaften von Lebensmitteln sowie den Ernährungsgewohnheiten der deutschen Bevölkerung. Aktuell werden die Ernährungsempfehlungen der DGE auch überarbeitet. Dazu bietet Ihnen sicher Frau Schäfer genaueren Einblick.

Grundsätzlich lässt sich festhalten, dass sich die zentralen Unterschiede zwischen beiden Ernährungsempfehlungen aus dem Anwendungskontext ergeben: global versus deutschlandspezifisch und mit einem Hauptfokus bei der Ableitung der Lebensmittelmengen.

DGE-Blog:
Wo liegen die Unterschiede in den Lebensmittelmengen bei einem Vergleich der Planetary Health Diet mit den Orientierungswerten für eine vollwertige Ernährung der DGE?

Bernhard Watzl:
Der Vergleich in einzelnen Lebensmittelgruppen ist zwar schwierig, dazu komme ich gleich, aber es zeigt sich auch, dass beide Ansätze zu vergleichbaren Ergebnissen in der Ausrichtung der Ernährung kommen. Beide Ernährungsempfehlungen sind pflanzenbetont und bevorzugen Vollkornprodukte und Öle mit ungesättigten Fettsäuren. Die Zufuhr tierischer Lebensmittel, gesättigter Fettsäuren, hochverarbeiteter Lebensmittel sowie Zucker sollte eingeschränkt werden. Mit Ausnahme der Milchmenge sind sich die beiden Ernährungsweisen sehr ähnlich.

Wie eingangs gesagt, ist ein genauer Vergleich der Lebensmittelmengen aus verschiedenen Gründen eher schwierig. Beispielsweise liegen bei den Berechnungen unterschiedliche Zielwerte für die Energiezufuhr zugrunde. Die Planetary Health Diet bezieht sich auf eine Energiezufuhr von 2 500 kcal pro Tag, während für die Orientierungswerte der DGE eine Energiezufuhr von 1 600 bis 2 400 kcal pro Tag herangezogen wird.

Das bedeutet, je niedriger die Energiezufuhr ist, desto höher muss die Nährstoffdichte sein, um alle essenziellen Nährstoffe in ausreichender Menge zuzuführen. Daher sind bei einem Energiebedarf, der deutlich unter dem Wert von 2 500 kcal pro Tag liegt, höhere Mengen nährstoffdichterer Lebensmittel wie z. B. Milch und Milchprodukte notwendig, um Nährstoffe wie Calcium in ausreichender Menge zuzuführen.

Eine weitere Schwierigkeit hinsichtlich der Vergleichbarkeit ergibt sich aus der Einteilung der Lebensmittelgruppen beider Ernährungsweisen, z. B. unterscheidet sich die Zuordnung einzelner Lebensmittel oder die angegebenen Einheiten sind nicht ohne Weiteres umzurechnen.

DGE-Blog:
Welche Gruppen an Lebensmitteln sind gemeint?

Bernhard Watzl:
Dabei geht es beispielsweise um die Lebensmittelgruppe „Getreide, Getreideprodukte und Kartoffeln“. Die DGE gibt einen eigenen Orientierungswert für Lebensmittel an, die in Deutschland typischerweise als stärkehaltige Beilagen verwendet werden, also Nudeln, Reis und Kartoffeln. Dabei wird davon ausgegangen, dass nur eine der drei Beilagen an einem Tag verzehrt wird.

Die Planetary Health Diet berücksichtigt die Mengen von Nudeln und Reis in der Gruppe für Vollkorngetreide. Kartoffeln bilden eine separate Gruppe. Hier wird davon ausgegangen, dass Kartoffeln zusätzlich zu Nudeln oder Reis gegessen werden. Weiterhin wurden im Rahmen der globalen Betrachtung Kartoffeln häufig in Form von stark verarbeiteten Produkten, entsprechend der Verzehrgewohnheiten, in die Analysen einbezogen. Dadurch ist die angegebene Menge für Kartoffeln deutlich geringer. Außerdem werden die Produkte in der Lebensmittelgruppe Vollkorngetreide in der Planetary Health Diet in Trockengewicht berücksichtigt, bei den Orientierungswerten der DGE beziehen sich die Angaben auf zubereitete Mengen.

Für die Planetary Health Diet werden des weiteren auch Hülsenfrüchte und Nüsse als jeweils eigene Lebensmittelgruppen betrachtet, während für die Orientierungswerte der DGE die Hülsenfrüchte dem Gemüse und die Nüsse dem Obst zugeordnet wurden. In der Publikation www.ernaehrungs-umschau.de/EU05_2022.pdf werden die Lebensmittelmengen der Planetary Health Diet für Gemüse und Hülsenfrüchte sowie für Obst und Nüsse gemeinsam betrachtet.

Eine weitere Schwierigkeit für einen direkten Vergleich betrifft die Lebensmittelgruppe der “Milch und Milchprodukte”, da hier bei beiden Ernährungsempfehlungen eine grundlegend andere Berechnungsgrundlage verwendet wurde. In der Planetary Health Diet werden die Lebensmittelmengen als Milchäquivalente angegeben, d. h. die Menge an Käse oder Joghurt wird in die dafür benötigte Milchmenge umgerechnet. Bei den Orientierungswerten der DGE werden die Verzehrmengen der Lebensmittel, also Käse und Milchprodukte, angegeben. Für einen Vergleich ist eine Umrechnung dieser Mengen in Milchäquivalente notwendig. In dieser Gruppe gibt es die größte Diskrepanz zwischen den empfohlenen Lebensmittelmengen.

Wir sehen in der Ernährungsforschung aber grundsätzlich, dass es neben Orientierungswerten beispielsweise auch Strategien braucht, die faire Ernährungsumgebungen ermöglichen, um zu einer nachhaltigen Ernährungswende zu kommen.


DGE-Blog:
Sehr geehrte Frau Schäfer, die Ausführungen von Prof. Watzl geben einen Einblick, wie sowohl global als auch national daran gearbeitet wird, Ernährungsempfehlungen nachhaltiger zu gestalten. Das zeigt aber auch, dass diese Ableitungen nationalen Gegebenheiten unterliegen. In verschiedenen internationalen Publikationen zur Bewertung von nationalen lebensmittelbezogenen Ernährungsempfehlungen – auf Englisch: Food-Based Dietary Guideline, FBDG – ist Deutschland eines der wenigen Länder, das mit seinen 10 Regeln aus dem Jahr 2017 bereits Nachhaltigkeitsaspekte berücksichtigt. Prof. Watzl hat auf den derzeit laufenden Überarbeitungsprozess der Ableitung der FBDG der DGE hingewiesen. Was sind die Ziele der Überarbeitung?

Anne Carolin Schäfer:
Die FBDG der DGE stehen in Form der 10 Regeln der DGE für eine vollwertige Ernährung, des DGE-Ernährungskreises sowie der Dreidimensionalen Lebensmittelpyramide zur Verfügung. Die DGE überarbeitet derzeit die Ableitung der FBDG für Deutschland, so dass die verschiedenen Nachhaltigkeitsdimensionen umfassenderer betrachtet werden. Dazu gehört z. B. die Integration von Indikatoren für den Umwelteinfluss von Lebensmitteln. Neben den bereits beschriebenen Zielen einer adäquaten Nährstoff- und Lebensmittelzufuhr zur Gesundheitsförderung werden damit nun ökologische Nachhaltigkeitsaspekte bereits in der Ableitung der FBDG berücksichtigt.

Wichtig zu wissen ist, dass in die Ableitung neben den D-A-CH-Referenzwerten für die Nährstoffzufuhr auch evidenzbasierte Erkenntnisse zur Prävention ernährungsmitbedingter Krankheiten, wie Herz-Kreislauf-Erkrankungen, durch Nährstoffe beziehungsweise Lebensmittel einfließen.

Letztere werden auf Grundlage der Global Burden of Disease Study abgeleitet. Diese internationale Studie misst die Krankheitslast verschiedener Risikofaktoren – in diesem Fall der Verzehr bestimmter Lebensmittelgruppen – und lässt eine Quantifizierung von Lebensmittel-Gesundheitsrelationen zu.

DGE-Blog:
Was bedeutet das für die Betrachtung in der Ernährungspraxis?

Anne Carolin Schäfer:
Im Zuge der laufenden Neuableitung der FBDG wird es eine stärkere Differenzierung in den Lebensmittelgruppen geben. Das betrifft beispielsweise rotes Fleisch, Geflügel und verarbeitetes Fleisch. Dafür sollen unabhängige Mengenangaben abgeleitet werden. Auch ist es Ziel, Hülsenfrüchte und Nüsse getrennt von Gemüse und Obst zu betrachten.

Die Dimension Umwelt wird mit den Indikatoren Treibhausgasemissionen und Landnutzung in die direkte Ableitung eingehen. Die resultierenden FBDG werden damit neben gesundheitlichen Aspekten sowie bestehenden Ernährungsgewohnheiten auch Umweltfaktoren berücksichtigen.

Für die Ableitung der FBDG entwickelt die DGE ein mathematisches Optimierungsmodell. Solche Modelle können den komplexen Prozess, die Vor- und Nachteile verschiedener Lebensmittel in den unterschiedlichen Dimensionen der Nachhaltigkeit gegeneinander abzuwägen, unterstützen und kommen bei der multidimensionalen Ableitung von FBDG vermehrt zum Einsatz. Zudem ermöglichen sie eine flexible Anpassung an sich wandelnde Ernährungssysteme, bis hin zur Individualisierung, und können so zu einer verbesserten Akzeptanz und praktischen Umsetzung in der Bevölkerung beitragen.

Fisch ist hier ein gutes Beispiel. Diese Lebensmittelgruppe liefert als eine von wenigen Gruppen Omega-3-Fettsäuren und zeigt zudem positive gesundheitliche Effekte, wird aber gleichzeitig aufgrund ihrer höheren Umweltlast nur im nötigen Umfang vom Modell eingesetzt.

Das Wissen um den Umwelteinfluss von Lebensmitteln soll dazu beitragen, dem Ziel einer gesundheitsfördernden sowie einer ökologisch nachhaltigeren Ernährungsweise näher zu kommen.

DGE-Blog:
Haben Sie vielen Dank für das Interview.