Lebensjahre in Gesundheit – was leistet die Ernährung?
56. DGE-Kongress in Gießen
In einer immer älter werdenden Gesellschaft gewinnen altersabhängige Erkrankungen zunehmend an Bedeutung. Mit welchen Strategien man ihnen begegnen und vorbeugen kann, diskutieren Ernährungswissenschaftler, Oecotrophologen und Wissenschaftler angrenzender Fachgebiete vom 19. bis 21. März 2019 auf dem 56. Wissenschaftlichen DGE-Kongress an der Justus-Liebig-Universität in Gießen. Hier blickt man auf eine lange Tradition der Ernährungswissenschaften zurück. Während es in den Zeiten von Liebigs Fleischextrakt und auch zur Zeit der Gründung des ersten Instituts für Ernährungswissenschaften vor rund 60 Jahren vor allem darum ging, Mangelkrankheiten vorzubeugen, stehen heute eher die Fehlernährung im Nahrungsüberfluss und ihre Folgen im Fokus. „In einer Gesellschaft, die dem demographischen Wandel unterworfen ist, rückt die Prävention altersbedingter Erkrankungen immer stärker in den Fokus der Wissenschaft. Hierbei kann die richtige Ernährung einen wichtigen Beitrag leisten, indem sie altersbedingte Veränderungen positiv beeinflusst", sagt Prof. Gunter Eckert, Institut für Ernährungswissenschaft (IfE), Universität Gießen. Gemeinsam mit Prof. Dr. Uwe Wenzel, ebenfalls IfE, hat er die wissenschaftliche Leitung des Kongresses inne.
Über 600 Teilnehmer informieren sich an den 2 ½ Veranstaltungstagen über aktuelle Forschungsergebnisse u. a. zur Analytik und biologischen Wirkung verschiedener Lebensmittelinhaltsstoffe und Lebensmittel, zur Ernährung spezifischer Bevölkerungsgruppen, zur Ernährungsbildung, Gesundheitsförderung und zum Ernährungsverhalten sowie zu Herausforderungen in der Gemeinschaftsverpflegung. Insbesondere die Vortragsreihe „Ernährung und chronische Krankheiten“ sowie die Postersession „Chemoprävention“ vertiefen das Kongressthema. In den Minisymposien geht es beispielsweise um den Einfluss Sozialer Medien auf unsere Ernährung, die Vermeidung von Mangelernährung in der Gemeinschaftsverpflegung, die Chronobiologie der Nahrungsaufnahme und Mahlzeitenmuster mit Bezug zu metabolischen Erkrankungen sowie funktionelle Lebensmittel. Die drei Plenarvorträge greifen das Leitthema „Lebensjahre in Gesundheit – was leistet die Ernährung?“ am Beispiel von Alzheimer-Krankheit, Parkinson und Herz-Kreislauf-Erkrankungen auf.
Energiestoffwechsel des Gehirns im Alter – Können Ketone das Fortschreiten von Alzheimer verlangsamen?
Prof. Dr. Stephen Cunnane, Universität Sherbrooke, Kanada, spricht über den Keton- und Hirnenergiestoffwechsel während des Alterns und Auswirkungen auf die Alzheimer-Krankheit. Ein chronisches Energiedefizit des Gehirns ist ein wichtiges Präsymptom dieser Krankheit, dem bei der Entwicklung von Medikamenten gegen Alzheimer und andere neurodegenerative Erkrankungen mehr Aufmerksamkeit geschenkt werden sollte. Um das Energiedefizit des Gehirns zu überwinden, sind derzeit Ketone als Nahrungsergänzungsmittel das vielversprechendste Mittel, fasst Cunnane den aktuellen Forschungsstand zusammen.
Hypothese Hormesis – warum ist das für Biogerontologen ein Thema?
Inwieweit geringe Dosen schädlicher oder giftiger Substanzen positive Wirkungen auf Organismen haben können, betrachtet Prof. Dr. Vittorio Calabrese von der Universität Catania, Italien. Die Hormesis beinhaltet die Anpassungsfähigkeit, endogene und umweltbedingte Einwirkungen durch toxische Substanzen zu neutralisieren und damit das Überleben zu steigern. Lebensmittelinhaltsstoffe wie Polyphenole wirken ebenfalls über hormetische Prozesse auf den Körper ein. Anhand hormetischer Ansätze stellt Calabrese Perspektiven und Möglichkeiten zur Einflussnahme auf die Qualität des Alterungsprozesses und die Lebensdauer sowie die Behandlung der Parkinson-Krankheit und anderer neurodegenerativer Krankheiten wie Demenzen vor.
Wie lassen sich kardiovaskuläre Alterserkrankungen vorbeugen?
Herz-Kreislauf-Erkrankungen sind die häufigste Todesursache in Deutschland und ihre Entstehung kann durch Faktoren wie Lebensstil einschließlich Ernährung beeinflusst werden. Einen kritischen Blick auf Ernährungsstrategien zur Prävention kardiovaskulärer Alterserkrankungen wirft daher Prof. Dr. Andreas Simm von der Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg. Der Präsident der Deutschen Gesellschaft für Gerontologie und Geriatrie weist darauf hin, dass eine ausgewogene Ernährung, wie sie beispielsweise in einer mediterranen Ernährungsweise umgesetzt wird, zur Prävention von kardiovaskulären Erkrankungen empfohlen werden kann. Studien zu Nahrungsergänzungsmitteln lassen hingegen momentan keinen Nutzen erkennen. Grundsätzlich können Ernährungsempfehlungen nur dann erfolgreich umgesetzt werden, wenn neben der „medizinischen“ auch die „soziale“ Bedeutung der Ernährung beachtet wird, betont Simm.