DGE-Kongress 2025: Was unsere Lebensmittelauswahl bestimmt

© DGE / Foto : Christian Augustin
Die Veranstaltung mit 82 Vorträgen, 115 Posterpräsentationen und zwölf Symposien fand in Kooperation mit dem Institut für Agrar- und Ernährungswissenschaften der Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg statt. Die wissenschaftliche Leitung hatten Prof. Dr. Gabriele Stangl, Prof. Dr. Andrea Henze und Prof. Dr. Wim Wätjen inne. Höhepunkte waren die Verleihung des Hans Adolf Krebs-Preises an Dr. Fabian Eichelmann, den die DGE bereits zum 14. Mal vergab, sowie die Auszeichnung von insgesamt elf Posterpreisen an den wissenschaftlichen Nachwuchs. DGE-Präsident Prof. Dr. Bernhard Watzl eröffnete den Kongress und hob seine Bedeutung als wichtige Plattform für den wissenschaftlichen Nachwuchs und erfahrene Wissenschaftler*innen hervor. „Bundesregierungen kommen und manchmal gehen sie auch. Die Deutsche Gesellschaft für Ernährung jedoch, die bleibt.“ Mit diesen Worten richtete sich Cem Özdemir, Bundesminister für Ernährung und Landwirtschaft, per Videobotschaft an das Auditorium. Die DGE biete mit ihren Empfehlungen eine wichtige Orientierung. Prof. Dr. Claudia Becker, Rektorin der Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg, machte in ihrem Video-Grußwort auf die über 500-jährige Geschichte der Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg aufmerksam und den Master- und Bachelorstudiengang Ernährungswissenschaften, den die Universität seit 2010 anbietet.
Essen als Schaufenster der Persönlichkeit
Kulturwissenschaftler Prof. Dr. Gunther Hirschfelder, Universität Regensburg, wies in seinem Plenarvortrag „Planetary Health Food unter Realitätsschock. Der Kampf der Ernährungsimperative gegen Gleichgültigkeit und noch schlimmere Feinde“ auf die heutigen Freiheiten hinsichtlich der Ernährung hin, während in der Vormoderne Kirche und Regierung den Rahmen setzten. Essen diene heute als „Schaufenster unserer Persönlichkeit“ und stifte Identität. Über Social Media werde beispielsweise ein Zusammengehörigkeitsgefühl verbreitet, wie das einer Grill-Community. Bei der Umsetzung einer nachhaltigen Ernährung bestünden jedoch gesellschaftliche Herausforderungen, denn einer ablehnenden Haltung können viele Ursachen zugrunde liegen. So sei Essen gleichzeitig ein „Traditionsanker“, der emotionale Sicherheit biete. Als Beispiele nannte Hirschfelder Geflüchtete aus dem Arabischen Raum und Migrierte aus Osteuropa. Nachhaltigkeit spiele für diese Personengruppen eine untergeordnete Rolle. Dies gelte auch für Menschen in prekären Lebenssituationen, die sich eher am Preis als an Umweltaspekten orientieren. In wohlhabenden Kreisen hingegen sei Nachhaltigkeit zwar ein Thema, dennoch wachse der ökologische Fußabdruck mit steigendem Einkommen. Als weiteres Beispiel machte Hirschfelder auf die wachsende Gruppe politisch radikalisierter Kreise aufmerksam, die eine ablehnende Haltung gegenüber nachhaltigen Ernährungsweisen einnähmen und an den Ernährungsempfehlungen pauschal Kritik üben würden. Trotz der Widerstände setze sich die Planetary Health Diet in Innovationsregionen und Nationen wie Skandinavien durch und sei für die ökologische Transformation bedeutend. In der Nachhaltigkeit sieht Hirschfelder den Schlüssel zum Wohlstand und resümierte: Eine pflanzenbasierte Ernährung hat Zukunft.
Wie Ghrelin neuronale Netzwerke und somit das Essverhalten steuert
Prof. Dr. Suzanne Dickson, Universität Göteborg in Schweden, betrachtete in ihrem Plenarvortrag „Control of hunger by intrinsic signals and environmental cues“ die Lebensmittelauswahl aus neurobiologischer Sicht. Die Steuerung der Nahrungsaufnahme durch unser Gehirn ist ein komplexer Vorgang, bei dem das Hormon Ghrelin eine Schlüsselrolle einnimmt. Ghrelin wird bei Hunger freigesetzt und informiert das Gehirn über diesen Zustand. Der Magen schüttet das Hormon zudem aus, wenn wir Essen erwarten oder appetitliche Speisen sehen – selbst, wenn wir gesättigt sind. Ghrelin beeinflusst neuronale Netzwerke, die für das Belohnungssystem und die Regulation des Essverhaltens bedeutend sind. Um neue Erkenntnisse über die neuronalen Netzwerke zu erlangen, werden Kartierungstechniken wie die „Fos-TRAP“-Technologie und die RNA-scope-Analyse eingesetzt. Hierdurch lässt sich identifizieren, welche Nervenzellen auf Hungerreize reagieren und, welche Rolle sie bei der Nahrungsaufnahme spielen.
Lebhafte Diskussion zum Thema „Ernährungsverhalten in Deutschland – Strategien für 2040“
In der abschließenden Diskussion beleuchteten Expert*innen aus Politik, Ernährungspsychologie und Ernährungsmedizin entscheidende Faktoren unserer Lebensmittelauswahl: Was braucht es, um das Ernährungsverhalten zu verbessern? Wie isst Deutschland in 2040? Eva Bell, Abteilungsleiterin Ernährung und Gesundheitlicher Verbraucherschutz im Bundesministerium für Ernährung und Landwirtschaft (BMEL), verdeutlichte, welchen Beitrag die Politik zur gesünderen Lebensmittelauswahl bereits leistet und wies auf die 90 Maßnahmen der Ernährungsstrategie hin, darunter die Nationale Reduktions- und Innovationsstrategie für Zucker, Fette und Salz in Fertigprodukten. Prof. Dr. Hans Hauner, Mitglied im Wissenschaftlichen Präsidium der DGE, gab zu bedenken, dass die Zahl der Adipositas-Erkrankten weiterhin steige und betonte, dass die Verhältnisprävention mitzudenken sei und die Maßnahmen zu uns passen müssen. Prof. Dr. Britta Renner, DGE-Vizepräsidentin, lenkte den Blick auf die bereits positiven Entwicklungen der letzten Jahre – der Fleischkonsum sei gesunken und Nachhaltigkeit für viele Menschen ein Thema. Die Gemeinschaftsverpflegung sei ein großer Hebel, mit dem sich 16 Millionen Menschen erreichen ließen. In Hinblick auf das Jahr 2040 prognostizierten die Diskussions-Teilnehmenden, dass der Fleischverzehr sinken und der Konsum von regionalem, ökologisch erzeugtem Obst und Gemüse steigen werden. Es werden mehr KI-gestützte Tools genutzt und mehr Verzehrdaten vorliegen, um zu sehen, welche Ernährungstrends sich einstellen. Zudem bestand der Wunsch, die Gemeinsamkeit, die wir durch Essen schaffen können, mehr zu nutzen. Dadurch würden Personen mit unterschiedlichen Präferenzen gemeinsam am gleichen Tisch essen können.
Vortragsreihen, Posterpräsentationen, Symposien – eine Vielfalt aktueller Themen
Im Symposium der DGE-Fachgruppe Gemeinschaftsverpflegung stellten Referent*innen die Relevanz und die Anforderungen einer adäquaten Krankenhausverpflegung vor, die nicht nur zur Genesung beitragen, sondern auch schmecken soll und die Lebensmittelverschwendung reduzieren kann. Die Fachgruppe Lebensmittelwissenschaft betrachtete die rechtlichen Grundlagen neuartiger Lebensmittel, die Potenziale und Grenzen von Algen und die Nutzung von Insekten. Die Steuerungsgruppe der DGE-Fachgruppe Ernährungsverhaltensforschung legten den Fokus auf psychologische und soziale Perspektiven der Lebensmittelauswahl und -nutzung. Das Symposium der DGE-Arbeitsgruppe Sporternährung verdeutlichte, dass Sportler*innen deutlich mehr Nahrungsergänzungsmittel wie Protein, Vitamine und Mineralstoffe nutzen als Nicht-Sportler*innen und beleuchtete die damit verbundenen Risiken. Der Food First Approach beim Sport, also Lebensmittel anstelle von Nahrungsergänzungsmitteln zu verzehren, wurde vorgestellt und erweist sich als praktikabel.
Die Fachgruppe Early Career Scientists präsentierte den 6. Science Slam. Dabei ging es beim Redox-Signalling um Mr. ROS und Andy Oxidans, der Faulheit unser Immunzellen, der notwendigen Kombination von Forschung und Wirtschaft bei der Nachhaltigkeitstransformation und verschiedenen Kommunikationsszenen als Schlüssel zu nachhaltigeren Ernährungssystemen.
Prof. Dr. Wim Wätjen betonte bei der Verabschiedung die große Vielfalt der Themen und enorme Komplexität der Fragestellungen und verwies auf deren Bedeutung für die Zukunft – vermutlich auch noch für den DGE-Kongress in 2035. Abschließend lud die DGE zum 63. Wissenschaftlichen Kongress vom 4. bis 6. März 2026 nach Kassel ein.