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Tagungsbericht

16. Dreiländertagung der DGE, ÖGE und SGE

Neue lebensmittelbezogene Ernährungsempfehlungen für Deutschland, Österreich und die Schweiz
Frau Prof. Dr. Ute Nöthlings steht am Rednerpult im Vordergrund sitzen Zuhörer*innen

Prof. Dr. Ute Nöthlings erläutert verschiedene Aspekte in der Wissenschaftlichen Ableitung von FBDG. © DGE, Foto: Tobias Vollmer, fotojetzt.com

Eine gesunde und umweltschonende Ernährung ist pflanzenbetont und enthält viel Obst und Gemüse sowie mehr Hülsenfrüchte und weniger Fleisch und Milch als bisher. Das zeigen die neuen lebensmittelbezogenen Ernährungsempfehlungen (Food-Based Dietary Guidelines, FBDG) von Deutschland, Österreich und der Schweiz. Doch worin unterscheiden sie sich und warum? Und vor allem: Wie lässt sich eine breite Umsetzung in der gesamten Bevölkerung erreichen?

Darum ging es auf der 16. Dreiländertagung der Deutschen Gesellschaft für Ernährung e. V. (DGE), Österreichischen Gesellschaft für Ernährung (ÖGE) und Schweizerischen Gesellschaft für Ernährung (SGE) am 12. September in Bonn. Rund 285 Teilnehmende trafen sich vor Ort oder verfolgten die Tagung per Livestream. DGE-Geschäftsführerin Dr. Kiran Virmani, DGE-Präsident Prof. Dr. Bernhard Watzl und ÖGE-Präsident Prof. Dr. Karl-Heinz Wagner waren sich in ihren Begrüßungsworten einig darin, wie wertvoll der Austausch untereinander ist, speziell bei einer so hochkomplexen Aufgabe wie den neuen Empfehlungen. Denn in den letzten Jahren habe die Food and Agriculture Organization (FAO) sehr detailliert beschrieben, wie diese den Herausforderungen einer nachhaltigeren Ernährung gerecht werden müssen, betonte Watzl.

Prof. Dr. Ute Nöthlings, Uni Bonn, weitete den Blick auf die ganze Welt. FBDG müssten länderspezifisch sein, weil die Prävalenz von Erkrankungen genauso unterschiedlich sei wie Lebensmittel-Präferenzen und deren Verfügbarkeit. FBDG sollten laut FAO kurze, wissenschaftlich fundierte, positive Botschaften zu gesunder Ernährung und Lebensweise beinhalten, die darauf abzielen, Mangelernährung zu verhindern und dazu beitragen eine gesunde Ernährung in der Bevölkerung zu fördern. Seit ökologische Aspekte als Anforderung hinzugekommen sind, hat die Entwicklung von FBDG eine neue Komplexität erreicht. So definiert die Weltgesundheitsorganisation (WHO) 16 Aspekte einer nachhaltigen Ernährung. Bisher erwähnen erst 37 von 94 Ländern, die überhaupt über eigene FBDG verfügen, derartige WHO-Prinzipien.

Anne Carolin Schäfer, Referat Wissenschaft der DGE, betonte bei ihrer Vorstellung der im März 2024 veröffentlichten FBDG für Deutschland, wie wichtig es dabei war eine transparente und evidenzbasierte Methodik zu etablieren. Dazu gehörte die Einbeziehung von Wissenschaftler*innen aus den Bereichen Ernährung, Klima und Umwelt und als Herzstück der Aufbau eines mathematischen Optimierungsmodells. Letzteres habe den Vorteil, dass es sich leicht aktualisieren lässt, wenn zum Beispiel Empfehlungen für Kinder erarbeitet werden sollen. Die DGE ergänzt ihre FBDG durch ein wachsendes Online-Angebot sowie ergänzende Informationen rund um die FBDG wie z. B. Positionspapiere zu Alkohol oder pflanzliche Milchalternativen sowie Materialien für Fachkräfte und Verbraucher*innen.

Die neuen österreichischen FBDG präsentierte Lisa Sturm von der Österreichischen Agentur für Gesundheit und Ernährungssicherheit (AGES). Für ihre Ableitung wurde das Optimierungsmodell der DGE für Österreich angepasst. Sie berücksichtigen ebenfalls erstmals Umweltaspekte. Die omnivoren Modellierungsergebnisse führten zu einem Ernährungsmuster mit deutlich mehr Gemüse, Obst und Hülsenfrüchten als die Menschen in Österreich derzeit verzehren. Gleichzeitig enthalten die FBDG eine drastische Reduzierung des sehr hohen Fleischkonsums auf 1 bis 2 Portionen pro Woche und nur noch zwei Portionen Milch und Milchprodukte pro Tag. Im Gegensatz zu den deutschen FBDG mit einer Portion wöchentlich empfehlen die österreichischen drei Portionen Hülsenfrüchte. Teil der Lebensmittelgruppe sind auch Tofu und Tempeh. Grundlage hierfür sind die Daten des österreichischen Ernährungsberichts von 2017, der bereits Alternativprodukte erfasste. Danach essen die Menschen in Österreich mehr als doppelt so viel Hülsenfrüchte wie in Deutschland nach der Nationalen Verzehrsstudie (NVS II). Außerdem ist Österreich der fünftgrößte Sojaproduzent in der EU und forscht zu klimaangepassten Sorten, mit denen der Anbau im eigenen Land ausgedehnt werden könnte.  Auch für eine ovo-lacto-vegetarische Ernährung wurden Empfehlungen entwickelt. Aktuell erfolgt nun die grafische Aufbereitung der FBDG, vor allem als Ernährungspyramide. Die neuen Pyramiden sind voraussichtlich im Herbst 2024 fertig.

Zeitgleich zur Dreiländertagung veröffentlichte auch die Schweiz neue FBDG. Angelika Hayer von der SGE steuerte ihre Präsentation als Video bei. Die mit einem Optimierungsmodell entwickelten Empfehlungen unterscheiden sich inhaltlich nicht wesentlich von den bisherigen in der Schweiz, weil diese bereits Nachhaltigkeitsaspekte beinhalteten, erläuterte Hayer. Sie fokussierte sich daher auf die grafische Überarbeitung der Ernährungspyramide. Die wurde optisch gekippt, sodass der Blick nun als erstes auf Getränke, Obst und Gemüse im unteren Bereich im Vordergrund fällt. Süßgetränke, Süßes und salzige Snacks an der Spitze geraten dadurch optisch in den Hintergrund. Die Abbildungen der einzelnen Lebensmittel wurden mit künstlicher Intelligenz erzeugt. Das soll die spätere Erstellung von Videos erleichtern. Pünktlich zur Veröffentlichung gibt es Merkblätter in vier Sprachen (Langfassung). Die Langfassungen zeigen Portionsgrößen als Handmaß und praktische Tipps zu allen acht Lebensmittelgruppen. Kleine Icons zeigen, ob es dabei um gesundheitliche oder ökologische Aspekte geht. Aktuell wird außerdem das Modell des optimalen Tellers angepasst, der die Empfehlungen auf die Gestaltung der Hauptmahlzeiten herunterbricht.

Neue Ernährungsempfehlungen – wie kommen sie auf den Tisch?

In der Diskussion zur Umsetzung der FBDG in die Praxis schilderte Prof. Ulrike Arens-Azevêdo am Beispiel der Studierendenwerke, wie nah diese mit ihren pflanzenbetonten Angeboten bereits daran orientiert sind. So haben viele Mensen vegane oder vegetarische Menülinien. Dabei zähle für die Akzeptanz vor allem, dass es schmecke und gut aussehe. Dies sei eine Herausforderung für die Gemeinschaftsverpflegung, die aber durch neue Prozesse, Technik, Know-how und motiviertes Personal zu bewältigen sei. Das gelte unter anderem auch für die Klinikverpflegung. „Wir müssen uns die Frage stellen: Was ist uns die Zukunft wert? Und wir müssen in die Köpfe bekommen, dass Verpflegung etwas Wichtiges ist“, sagte Arens-Azevêdo. Prof. Dr. Anja Markant, FH Münster, betonte, dass es durchaus möglich sei, eine Ernährung nach den neuen DGE-Empfehlungen auch zuhause schmackhaft, ausgewogen und nachhaltig zu gestalten, wenn man es denn möchte. Dies zeigen mehrere neue Wochenspeisepläne, die die FH Münster entwickelte und zum Download bei der DGE bereitstehen. Natürlich gebe es dabei für private Haushalte viele Herausforderungen in der Umsetzung wie knappe Zeit, feste Gewohnheiten oder unterschiedliche Präferenzen innerhalb einer Familie. „Hier müssen wir kreativ und beharrlich sein, um die Menschen Schritt für Schritt mit neuen Vorschlägen zu überzeugen“, so Markant.

Welch Potenzial im großen Interesse an den Themen Ernährung und Kochen steckt, erläuterte Prof. Dr. Sandra Holasek, Vizepräsidentin der ÖGE. Dabei sei die Diversität der Zielgruppen klug zu berücksichtigen. So ging beispielsweise ein schneller und modern interpretierter Gurkensalat auf der Plattform TikTok viral. Das Rezept erreicht aktuell Millionen von jungen Leuten und beschert dem Handel einen Run auf Salatgurken. Viele Ältere informieren sich dagegen eher über Kochsendungen im Fernsehen. Hier lässt sich gut an die Kochkompetenzen von älteren Frauen und das Interesse gesundheitsaffiner Menschen anknüpfen. Insgesamt habe sich die digitale Kompetenz in allen Generationen seit der Corona-Pandemie stark verbessert, so Holasek. Es brauche aber auch die Face-to-face-Kommunikation, idealerweise eine Mischung aus beidem quer durch alle Lebensbereiche

Und welche Rolle spielen pflanzliche Alternativprodukte für Fleisch, Fisch, Milch oder Eier in einer zukunftsfähigen Ernährung? Ernährungsfachkräfte und Fachgesellschaften sollten ihnen offen gegenüberstehen, plädierte Prof. Dr. Anette Buyken, Universität Paderborn. Denn für Verbraucher*innen, die gerne zu pflanzenbasiertem Essen wechseln möchten, seien solche neuen Lebensmittel eine große Hilfe beim „Einstieg in den Ausstieg“. Der sei beispielsweise durch eine vegane statt einer klassischen Curry-Wurst leichter als durch den Umstieg von der Curry-Wurst auf einen Linseneintopf. Zudem hätten solche Produkte einen geringeren ökologischen Fußabdruck und seien oft besser für die Gesundheit, wenn sie zu einem geringeren Fleischverzehr führen. Damit sie per se nicht zu viel Zucker, Fett und Salz liefern, müssten sie stärker von der Reformulierungsstrategie in den Blick genommen werden, betonte Buyken.

Abschließend würdigte DGE-Präsident Prof. Dr. Bernhard Watzl die neuen FBGD als wesentliche, aber nur erste Schritte auf dem Weg zu einer gesundheitsfördernden und nachhaltigeren Ernährung. Allein könnten die Fachgesellschaften die Empfehlungen und deren Umsetzung jedoch nicht in die Breite tragen. Das sei eine gesamtgesellschaftliche Aufgabe und ein Auftrag an die Politik über alle Ministerien hinweg, für die es entsprechende finanzielle Mittel brauche. Auch Prof. Dr. Karl-Heinz Wagner appellierte an die Fachgesellschaften, mehr Druck auf die Politik auszuüben und ihre Erkenntnisse in praxistaugliche Botschaften zu formulieren. Den neuen FBDG der drei Länder kommt hierfür dank ihrer guten Übersetzung in ansprechende und einfache Botschaften eine entscheidende Rolle zu.