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15. DGE-Ernährungsbericht

Mit dem 15. DGE-Ernährungsbericht legt die DGE erneut eine umfassende Analyse und Bewertung der Ernährungssituation in Deutschland vor.

Veröffentlichung des 15. DGE-Ernährungsberichts: 20.11.2024

Thematisch ist der 15. Ernährungsbericht breit gestreut und gliedert sich in 3 Teile.

  • Teil 1 „Ernährungssituation in Deutschland“: Ernährungs- und Gesundheitssituation in Deutschland
  • Teil 2 „Lebensmittelbezogene Aspekte“: u. a. zwei bereits vorab veröffentlichte Kapitel zu stark verarbeiteten Lebensmitteln
  • Teil 3 „Außer-Haus-Verpflegung“: Beitrag der Außer-Haus-Verpflegung zur Nährstoffversorgung und zur Nachhaltigkeit
15 DGE-Ernährungsbericht

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Inhalt

Autor  Kurt Gedrich

Zusammenfassung

Einleitung: Die Agrarstatistik liefert seit Jahrzehnten Daten zur Ernährungssituation in Deutschland. Da sie jedoch vorrangig Informationen zur Produktion in der Land- und Ernährungswirtschaft erfasst, sind ihre Daten nicht unmittelbar mit Verzehrdaten aus epidemiologischen Studien vergleichbar. Unter gewissen Annahmen bildet die Agrarstatistik dennoch eine wertvolle Grundlage für Trendanalysen zum Lebensmittelverbrauch in Deutschland.

Methodik: Mittelfristige Verbrauchstrends (seit 2012) wurden je nach Datensituation anhand von linearen oder segmentierten Regressionsanalysen untersucht. Die Bewertung des Lebensmittelverbrauchs unter gesundheitlichen Gesichtspunkten erfolgte auf der Basis publizierter Lebensmittel-Gesundheitsrelationen, wodurch zum einen ein Zusammenhang zwischen dem Lebensmittelverbrauch und verlorenen gesunden Lebensjahren (disability-adjusted life years, DALYs) hergestellt wurde und zum anderen Theoretische Mindestexpositionslevel (theoretical minimum risk exposure levels, TMREL) für den Lebensmittelverbrauch geschätzt werden konnten. Für die Bewertung des Lebensmittelverbrauchs unter Umwelt- und Klimaschutz-Gesichtspunkten wurden die Daten der Agrarstatistik mit einer Datenbank zu Umweltauswirkungen des Lebensmittelverbrauchs verknüpft und ernährungsbedingte Treibhausgasemissionen (THGE) sowie Land- und Frischwassernutzung untersucht.

Ergebnisse: Seit dem Jahr 2012 zeigte sich ein Anstieg im Verbrauch von Weizenmehl, Teigwaren, Reis, Kartoffelerzeugnissen, Gemüse insgesamt, insbesondere Tomaten, Möhren und Roten Rüben sowie frischen Hülsenfrüchten, Beeren- und Schalenobst, Zitronen, Pasta-filata-Käse sowie Hart-, Schnitt- und Weichkäse, ferner von Kaffee, schwarzem Tee und Kräuter-/Früchtetees sowie Tiefkühlkost, insbesondere Pizza und Backwaren, aber auch Fertiggerichten (ohne Pizza), Kartoffelerzeugnissen und Tiefkühlgemüse. Im selben Zeitraum ist der Verbrauch von folgenden Produkten zurückgegangen: Roggenmehl, frische Kartoffeln, Brot- und Backwaren, Pfirsiche und Aprikosen, Tafeltrauben, eingeführte Zitruserzeugnisse, Süßwaren, insbesondere Schokoladenwaren und Hart-/Weichkaramellen, ferner Milch und Milcherzeugnisse, insbesondere Konsummilch, Joghurt, Sahne und Kondensmilcherzeugnisse, des Weiteren Frischkäse, Schweinefleisch, Rind- und Kalbfleisch (ab 2016), Erfrischungsgetränke, Gemüse- und Obstsäfte und -nektare, Mineralwasser, Bier, Trinkwein, Schaumwein, Spirituosen und somit auch Gesamtalkohol. Weitgehend stabil verlief hingegen der Verbrauch von Mais, Gurken, Zwiebel-, Blatt- und Stängelgemüse, Obst insgesamt, Trockenobst und Südfrüchten, insbesondere Apfelsinen und Clementinen sowie Pampelmusen und anderen Zitrusfrüchten, aber auch Bananen, ferner Schmelzkäse und Schmelzkäsezubereitungen.

Schlussfolgerungen: Im Vergleich zu den TMREL ist der Gemüseverbrauch deutlich zu gering. Ähnliches gilt für den Verbrauch von Vollkornprodukten, Obst und Nüssen sowie Hülsenfrüchten, Milchprodukten und Fisch. Umgekehrt ist jedoch der Verbrauch von Softdrinks, raffiniertem Getreide, Eiern, rotem Fleisch und Fleischerzeugnissen zu hoch. Insgesamt entwickelt sich aber aus gesundheitlicher Sicht der Verbrauch von Gemüse, rotem Fleisch und Fleischerzeugnissen in eine wünschenswerte Richtung, während sich die Trends für den Verbrauch von Obst, Milchprodukten und Softdrinks weiter von den TMREL entfernen. Bei Betrachtung der Agrarstatistik unter Umwelt- und Klimaschutz-Gesichtspunkten zeigte sich die herausragende Bedeutung der tierischen Produkte. Sie stehen im Zusammenhang mit ca. drei Viertel der ernährungsbedingten THGE und ca. zwei Drittel der ernährungsbedingten Land- und Frischwassernutzung, wobei der Anteil der Milchprodukte Butter, Käse und Frischmilcherzeugnisse seit dem Jahr 2000 gestiegen und der von rotem Fleisch zurückgegangen ist. Insgesamt wird deutlich, dass ein steigender Verbrauch von Getreide sowie Obst (einschließlich Schalenobst) und Gemüse (einschließlich Hülsenfrüchten) sowohl gesundheitliche als auch umwelt- und klimapolitische Vorteile mit sich bringt. Dasselbe gilt für eine Senkung des Verbrauchs von rotem Fleisch.

Autor*innen Jakob Linseisen, Florian Rohm, Nina Wawro, Melanie Senger, Martin Kussmann, Sebastian Gimpfl, Kurt Gedrich

Zusammenfassung

Einleitung: Während der SARS-CoV-2-Pandemie könnte das verfügbare Haushalts­nettoeinkommen wegen vermehrter Kurzarbeit, Arbeitslosigkeit und steigender Inflation die Ernährung beeinflusst haben. Diese Frage sollte anhand von Daten einer kürzlich abgeschlossenen Verzehrstudie untersucht werden.

Methodik: In der Bayerischen Verzehrsstudie III (BVS III), einer repräsentativ an­gelegten Studie zur Beschreibung der Ernährung Erwachsener in Bayern, wurden im Zeitraum von 2021 bis 2023 pro Teilnehmer*in wiederholte 24-Stunden-Erinnerungsprotokolle telefonisch mithilfe der Software GloboDiet© erfasst. Das Nettoäquivalenzeinkommen wurde anhand der Angaben zum Haushaltsnettoeinkommen und zur Haushaltsgröße berechnet und als geringes, mittleres und hohes Einkommen klassifiziert. Insgesamt konnten Daten von 449 Männern und 576 Frauen in die Auswertung eingeschlossen werden. Mit dem Kruskall-Wallis-Test wurden Unter­schiede zwischen den Einkommensgruppen untersucht, und Lebensmittelgruppen oder Nährstoffe mit signifikanten Testergebnissen wurden anhand von multivariablen linearen Regressionsmodellen weiter untersucht.

Ergebnisse: Von 1 025 Teilnehmenden lebten 119 Männer und 160 Frauen in ei­nem Haushalt mit niedrigem Nettoäquivalenzeinkommen; 60 Männer und 82 Frauen hatten ein hohes Nettoäquivalenzeinkommen. Die Unterschiede in der mittleren Zu­fuhr von Lebensmitteln und Nährstoffen zwischen den Einkommensgruppen waren bis auf wenige Ausnahmen nicht ausgeprägt und statistisch nicht signifikant. Män­ner und Frauen in der höheren Einkommensgruppe verzehrten weniger rotes Fleisch und verwendeten mehr Ersatzprodukte für Milch und Fleisch in ihrer Ernährung, aber die Unterschiede waren nicht signifikant. In multivariabel adjustierten Regressions­analysen konnte eine signifikante Assoziation zwischen dem Haushaltsnettoeinkom­men und dem Verzehr von Getreideprodukten (invers) sowie von Suppen/Soßen ge­zeigt werden. Hinsichtlich der Nährstoffzufuhr ist die signifikant höhere Zufuhr von Speisesalz (NaCl) bei Personen mit geringem Einkommen auffällig; dies könnte auch die Folge einer signifikant höheren Zufuhr von (stärker gesalzenen) Fertigprodukten, gerade aus der Gruppe Suppen/Soßen, sein.

Schlussfolgerung: Personen mit einem geringen Haushaltsnettoeinkommen unter­scheiden sich in ihrer Ernährung nur in wenigen Punkten von Personen mit höherem Einkommen. Sie verzehren mehr Getreideprodukte, mehr Suppen/Soßen und weisen eine höhere Speisesalzzufuhr auf. Hinsichtlich der Prävention und Therapie von Blut­hochdruck und seinen Folgeerkrankungen ist eine hohe Salzzufuhr als gesundheitlich nachteilig zu bewerten. Im Durchschnitt ist in allen Einkommensgruppen eine deut­liche Abweichung von den lebensmittelbezogenen Ernährungsempfehlungen der Deutschen Gesellschaft für Ernährung (DGE) zu beobachten; diese beziehen sich auf eine Reihe von Lebensmittelgruppen, darunter Obst, Gemüse, Hülsenfrüchte, Nüsse, Vollkorn, Fleisch und Fleischwaren/Wurst.

Autor*innen Christina Holzapfel, Hans Hauner

Zusammenfassung

Einleitung: Die weltweit zu beobachtende Epidemie von Übergewicht bzw. Adipositas stellt auch Deutschland vor große Herausforderungen. Dies ist insbeson­dere vor dem Hintergrund, dass Präadipositas und Adipositas zu den Hauptursachen von vielen ernährungsmitbedingten Krankheiten gehören, von Bedeutung. Damit verbunden sind auch verschiedene soziale und ökonomische Folgen. Übergewicht ist zuallererst die Folge einer langfristigen positiven Energiebilanz, verursacht durch einen zunehmend sitzenden Lebensstil und eine energiereiche Ernährung.

Methodik: Die Häufigkeit, Entwicklung und unterschiedlichen Facetten der gesund­heitlichen Bedeutung von Übergewicht werden für die verschiedenen Lebensphasen auf der Grundlage aktueller Daten und Studienergebnisse beleuchtet. Hierfür werden die verfügbaren Studiendaten aus großen nationalen Stichproben sowie aus weiteren regionalen oder gruppenspezifischen Erhebungen herangezogen.

Ergebnisse: Für Schwangere zeigen die jährlich durchgeführten Bundesauswertungen Geburtshilfe eine kontinuierliche Zunahme der Übergewichtsprävalenz bei der Erst­untersuchung. Die Rate aller Neugeborenen mit einem erhöhten Geburtsgewicht von ≥ 4 000 g lag in den letzten Jahren unverändert bei etwa 10 %. Für Kinder und Jugendliche gibt es keine aktuelleren repräsentativen Daten als die der KiGGS Welle 2 mit Prävalenzen von Übergewicht auf einem hohen Niveau. Im Erwachsenenalter nehmen die Prävalenzraten mit dem Alter zu, wobei Männer in allen Altersgruppen häufiger als Frauen betroffen sind. Die Gesamtprävalenz für Übergewicht (Body-Mass- Index [BMI] ≥ 25 kg/m²) im Alter zwischen 18 und 65 Jahren liegt laut der Daten aus dem Mikrozensus 2021 für Männer bei 60,8 % und für Frauen bei 37,7 %. Bei Personen über 65 Jahren zeigt sich ein rückläufiger Trend.

Diskussion: Die dargestellten Daten zur Prävalenz von Übergewicht zeigen deutlich, dass alle Altersgruppen der Bevölkerung in Deutschland betroffen sind. Adipositas ist ein gesamtgesellschaftliches Problem, das multifaktorielle Ursachen aufweist und gesundheitliche, soziale und negative ökonomische Folgen mit sich bringt. Vor allem Personen mit niedrigem sozioökonomischen Status und mit Migrationshintergrund sind betroffen. Ein Portfolio von Präventionsmaßnahmen ist nötig, um das Risiko für die Entstehung von Adipositas sowie den damit assoziierten Erkrankungen zu redu­zieren und das Gesundheitssystem zu entlasten. Den Lebensstilfaktoren Ernährung und Bewegung kommt dabei eine zentrale Rolle zu.

Autor*innen Anja Simmet, Romy Schleicher, Michael Teut, Janine Ehret, Gerrit Hummel, Andreas Bschaden, Michaela Heinrich-Rohr, Nanette Ströbele-Benschop

Zusammenfassung

Einleitung: Im Jahr 2022 waren 12,2 Mio. Menschen in Deutschland, darunter insbesondere Kinder und Jugendliche, Alleinerziehende und Familien mit drei und mehr Kindern, armutsgefährdet. Aspekte der Ernährung und Gesundheit innerhalb armutsgefährdeter Bevölkerungsgruppen wurden in bisherigen Untersuchungen nur unzureichend abgebildet. Die Studie MEGA_kids hat das Ziel, die Ernährungs- und Gesundheitssituation von Personen in armutsgefährdeten Haushalten mit minder­jährigen Kindern umfassend darzustellen.

Methodik: MEGA_kids ist eine aus vier Modulen bestehende Querschnittstudie, die quantitative und qualitative Methoden kombiniert. In dem ersten Modul BERNA wurden über standardisierte Fragebögen soziodemografische Angaben und zahlreiche Aspekte der Ernährungs- und Gesundheitssituation, wie z. B. der Lebens­mittelverzehr, die Ernährungsunsicherheit und der subjektive Gesundheitsstatus der Kinder bzw. Jugendlichen im Alter zwischen 1 und 17 Jahren sowie Erwachsenen aus armutsgefährdeten Haushalten, erfasst. Zur Schätzung der Ausgaben für Lebensmittel und Mahlzeiten wurden zudem von den Haushalten über zwei Wochen gesammelte Kassenbelege ausgewertet. In dem zweiten Modul IDEE wurden über einen semi-strukturierten Interviewleitfaden Faktoren identifiziert, die aus Sicht von Erwachsenen in armutsgefährdeten Haushalten mit Kindern die Ernährungsqualität und -sicherheit beeinflussen. Im dritten Modul BEA wurden über zwei World-Cafés und eine Fokusgruppe Interventionsideen zur Förderung einer gesunden Ernährung aus Sicht von Erwachsenen in armutsgefährdeten Haushalten mit Kindern explo­riert. Das vierte Modul KENNER befragte schließlich Eltern aus armutsgefährdeten Haushalten mit Kindern über ein Online-Erhebungsinstrument zu der Kenntnis, Inanspruchnahme und Bewertung von ernährungsbezogenen Präventionsangeboten und -maßnahmen. Aus Gründen der Übersichtlichkeit werden die Ergebnisse dieses Moduls nicht im Rahmen dieses Kapitels dargestellt.

Ergebnisse: An BERNA nahmen Kinder, Jugendliche und Elternteile aus 498 Haus­halten, an IDEE 16 Elternteile und an BEA 25 Elternteile teil. Knapp 46 % der an BERNA teilnehmenden Eltern lebten zum Datenerhebungszeitpunkt weniger als ein Jahr in Deutschland. Insgesamt 22,4 % der Haushalte waren in den 30 Tagen vor der Befragung von moderater oder starker Ernährungsunsicherheit betroffen; es zeigt sich ein Zusammenhang der Ernährungsunsicherheit mit dem selbstberichteten Vorliegen einer psychischen Erkrankung des teilnehmenden Elternteils (OR 3,68; p = 0,002). Unter sozialer Ernährungsunsicherheit litten 68,9 % der Elternteile. Die mediane Verzehrmenge von Fleisch und Wurstwaren und die mediane Energiezufuhr über nährstoffarme, energiedichte Lebensmittel lag sowohl bei Kindern und Jugendlichen als auch bei den Erwachsenen höher als empfohlen. Für diese beiden Lebensmittel­gruppen gaben die Haushalte über die zwei Wochen von allen Lebensmittelgruppen am meisten Geld aus. Demgegenüber verzehrten die Teilnehmenden insbesondere weniger Obst, Gemüse, Fisch und Getreideprodukte als empfohlen.

Die Teilnehmenden der qualitativen Teilstudien IDEE und BEA nannten hohe Lebensmittelpreise als eine der wichtigsten Herausforderungen einer gesundheits­fördernden Ernährung. Strategien zum Erfüllen der Ernährungsbedarfe schlossen den Einkauf vergünstigter Lebensmittel, Verzicht in anderen Lebensbereichen sowie Abstriche bei der Lebensmittelqualität, -menge und -vielfalt ein. Um eine gesund­heitsfördernde Ernährung bei geringem Haushaltsbudget sicherzustellen, wurden insbesondere verhältnispräventive Maßnahmen, wie z. B. günstigere Preise für ernährungsphysiologisch günstige Lebensmittel, vorgeschlagen.

Schlussfolgerung: Mögliche verhältnis- und verhaltenspräventive Maßnahmen zur Reduzierung der Ernährungsunsicherheit, zur Reduzierung des Verzehrs von Fleisch- und Wurstwaren sowie von nährstoffarmen, energiedichten Lebensmitteln und zur Förderung des Verzehrs pflanzenbasierter Lebensmittel bei Kindern, Jugend­lichen und Eltern aus armutsgefährdeten Haushalten werden exemplifiziert und die Notwendigkeit einer gesamtpolitischen Anstrengung verdeutlicht.

Autor*innen Hannelore Daniel, Britta Renner, Theresa Maria Ting, Jessica Tauer, Anette Buyken, Jakob Linseisen für die Arbeitsgruppe „Personalisierte Ernährung“ der Deutschen Gesellschaft für Ernährung e. V.

Zusammenfassung

Personalisierte Ernährung (PE) hat sich als Forschungsfeld und in kommerziellen An­wendungen vor rund zwanzig Jahren etabliert und wurde in der Folge der Genomfor­schung vor allem als eine Ernährung verstanden, die den genetischen Dispositionen der Individuen gerecht werden soll. Derweil haben umfangreiche Studien zur Varianz des menschlichen Genoms und des Mikrobioms im Darm gezeigt, dass eine extrem große Zahl von Einflussgrößen den ernährungsmitbedingten Erkrankungen zugrunde liegt. Auch die Varianz des Darmmikrobioms ist sehr groß und bisher weitgehend unerklärt. Daraus ergibt sich, dass die PE-Konzepte dieser Komplexität kaum gerecht werden können, da sie bisher nur auf wenigen Parametern und/oder Genvarianten als Grundlage der individualisierten Empfehlungen oder Produkte zu Ernährung und Lebensstil gründen. Besonders im Kontext der Precision Nutrition wird deshalb vielfach argumentiert, es müssten noch sehr viel mehr biologische Kenngrößen zur Steigerung der Präzision einfließen. Diese Kenngrößen werden mithilfe verschiedener Plattformtechnologien zur Analyse und Darstellung des Transkriptoms, Proteoms und Metaboloms erzeugt. Inwieweit die Einbettung dieser zusätzlichen Parameter tatsächlich einen Mehrwert generiert, muss die Zukunft zeigen. Zentral bleibt ohnehin die Frage, ob solche Ansätze der Individualisierung tatsächlich geeignet sind, eine gesundheitsfördernde Ernährungsweise herbeizuführen. Die wenigen Studien, die dies wissenschaftlich untersucht haben, liefern recht kohärent den Befund, dass die Personalisierung und individuelle Ansprache per se einen Nutzen gegenüber generi­schen Empfehlungen zeigt, dass aber die Einbeziehung biomedizinischer Parameter (gleich welcher Art) nur einen geringen oder keinen zusätzlichen Nutzen generiert.

Es erschien daher notwendig, in kritischer Reflexion zukünftig PE-Maßnahmen sehr viel mehr auf die psychosozialen Determinanten des Verhaltens und deren Modi­fikation auszurichten. In interdisziplinärer Konstellation erarbeitete die Arbeitsgruppe „Personalisierte Ernährung“ der Deutschen Gesellschaft für Ernährung (DGE) daher ein adaptives System zur Verhaltensänderung (adaptive personalized nutrition advice system, APNAS), welches auf Daten zur Ernährungsumwelt sowie den Ressourcen und Möglichkeiten des Individuums gründet und ihm bei allen Essens-Entscheidungen vor Ort in beratender Funktion gemäß den selbst definierten Zielen Unterstützung bietet. Biomedizinische Größen spielen in diesem Konzept keine prominente Rolle mehr. Das neue APNAS nutzt die Chancen digitaler Werkzeuge zur Erfassung der relevanten Daten zur Lebenssituation und zum ernährungsbezogenen Verhalten, um die Nutzer*innen in bidirektionaler Kommunikation zu unterstützen. Dies setzt jedoch die Nutzung von Datenbanken (zu Rezepturen und Lebensmittelzusammen­setzung) und Algorithmen zur Ableitung der Empfehlungen voraus, und erfordert ein hohes Maß an Daten- und Persönlichkeitsschutz. Für die Kommunikation können Chatbots (Sprachagenten) oder Avatare dienen, die an die individuellen Fähigkeiten und Fertigkeiten der Person, wie etwa das Sprachverständnis, angepasst sind. Ein solches System könnte erstmals auch jene Zielgruppen erreichen, die vermutlich den größten Nutzen aus dieser Art persönlicher Beratung beziehen würden. Darüber hinaus können in ein solches System auch eine Vielzahl anderer Parameter, die zu­nehmend an Bedeutung bei Konsumentscheidungen gewinnen, integriert werden. Im Ernährungsbereich wären somit neben Gesundheit auch Umwelt, Tierwohl und soziale Aspekte in der Lebensmittelproduktionskette sowie weitere individuelle Werte in die Entscheidungsprozesse einzubetten. Da Chatbots und Avatare – wenn einmal generiert – vielfach verwendbar sind und die Inhalte mittels künstlicher Intel­ligenz sehr schnell und in jeder Sprache erstellt werden können, bietet ein solches System nicht nur eine besondere Breitenwirksamkeit, sondern ist – nach Etablierung – auch gleichzeitig sehr kostengünstig.

Autor*innen Martin Liehr, Tanja Schubert, Nikolas Roh, Paulina Hudec, Leandra Kripylo

Zusammenfassung

Erweiterte Nährwertkennzeichnungen bzw. sogenannte Front-of-Pack Nutrition Label (FOPNL) (Nährwertkennzeichnung auf der Vorderseite der Packung) stellen ernährungspolitische Maßnahmen dar, mit denen den Verbraucher*innen eine ernährungsphysiologisch günstigere Lebensmittelauswahl erleichtert werden soll. In diversen europäischen Staaten zählen FOPNL daher zum Repertoire des ernährungs­politischen Maßnahmenkatalogs. Die Verwendung von FOPNL innerhalb der Euro­päischen Union ist derzeit nicht einheitlich geregelt, weshalb die Ernährungspolitik europäischer Staaten teils verschiedene Ansätze von FOPNL verfolgt. Seit November 2019 ist der Nutri-Score Teil der Ernährungspolitik der Bundesregierung. Die fünf-stufige Farb-Buchstaben-Kombination soll Verbraucher*innen eine zusätzliche Orientierung bei der Lebensmittelauswahl bieten, indem der Vergleich der Nähr­stoffzusammensetzung innerhalb einer Produktgruppe erleichtert wird. Der aktuelle Beitrag bietet einen Überblick zum aktuellen Stand der Arbeiten am Nutri-Score, einschließlich seiner zurückliegenden Umsetzung als erweiterte Nährwertkennzeich­nung für Deutschland sowie seiner perspektivischen Weiterentwicklung.

Autor*innen Jakob Linseisen, Volker Böhm, Janine Bröder, Johanna Conrad, Ralf Greiner, Bettina Hieronimus, Marina Liaskos, Jörg Meier, Sabine Rohrmann, Sascha Rohn, für die Arbeitsgruppe „(Stark) verarbeitete Lebensmittel“ der DGE

Autorinnen Diana Behsnilian, Janine Bröder, Jessica Tauer, Esther Mayer-Miebach

Zusammenfassung

Ein Ernährungsmuster mit hohem Anteil an stark verarbeiteten Lebensmitteln wird heute als Risikofaktor für eine Vielzahl ernährungsmitbedingter Erkrankungen wie Adipositas, Herz-Kreislauf-Erkrankungen und Typ-2-Diabetes postuliert. Um die Zu­sammenhänge zwischen dem Verzehr verarbeiteter und insbesondere stark verarbei­teter Lebensmittel und ernährungsmitbedingten Erkrankungen zu bewerten, wurden in den letzten Jahren Klassifizierungssysteme entwickelt. Lebensmittel werden dabei in unterschiedliche Verarbeitungsgrade gruppiert und als (i) unverarbeitet, (ii) wenig verarbeitet, (iii) verarbeitet und (iv) stark verarbeitet bezeichnet. Anhand dieser Klassifizierungssysteme lässt sich der Anteil stark verarbeiteter Lebensmittel an der Ernährung abschätzen.

Der vorliegende Beitrag beschreibt zuerst Verarbeitungsverfahren und deren Anwendungsbereiche sowie die Auswirkungen des Einsatzes heute gängiger Verarbeitungsverfahren auf die Primärerzeugnisse. Anschließend werden häufig in Studien eingesetzte Systeme zur Klassifizierung von Lebensmitteln nach ihrem Ver­arbeitungsgrad beschrieben und verglichen. Anhand der unterschiedlichen Ziele und Schwerpunktsetzungen der Systeme erschließen sich einerseits die Schwierigkeiten bei der Anwendung der Lebensmittelklassifizierung und andererseits deutliche Ein­schränkungen in der Vergleichbarkeit.

Die Qualität verarbeiteter Lebensmittel und ihre physiologische Wirkung werden maßgeblich durch (i) die Wirkung der angewendeten Verarbeitungsverfahren auf die zur Herstellung verarbeiteter Produkte verwendeten Lebensmittelrohstoffe (Primärer­zeugnisse) und (ii) durch die Art und die Menge der verwendeten Zutaten bestimmt. Dennoch beziehen sich die Kriterien zur Beschreibung der Verarbeitungsgrade der heute bekannten Klassifizierungssysteme, mit Ausnahme eines Systems (SIGA-Klassi­fizierung), eher auf Verarbeitungsziele und Convenience-Stufen und nur nachrangig auf die Wirkung der Verarbeitungsverfahren auf Primärerzeugnisse. Zudem werden die verwendeten Zutaten, dazu gehören auch Zusatzstoffe, mehr oder weniger differenziert bewertet. Lediglich das SIGA-System beschreibt klare Kriterien für die Bewertung der Zucker-, Fett- und Salzgehalte und der Art der verwendeten Zutaten einschließlich Zusatzstoffen.

Derzeit existiert noch kein wissenschaftlicher Konsens über einheitliche, objektive und eindeutige Kriterien für eine Beschreibung von Verarbeitungsgraden. In der Fachliteratur wird deshalb die Entwicklung eines praxisorientierten, differenzierten und allgemeingültigen Systems zur Klassifizierung von Lebensmitteln nach dem Verarbeitungsgrad zwingend empfohlen.

Autorinnen Janine Bröder, Jessica Tauer, Marina Liaskos, Bettina Hieronimus für die Arbeitsgruppe „(Stark) verarbeitete Lebensmittel“ der Deutschen Gesellschaft für Ernährung e. V.

Zusammenfassung

Einleitung: Ein hoher Anteil stark verarbeiteter Lebensmittel – im Englischen häufig als ultra-processed foods (UPF) benannt – an der täglichen Energiezufuhr gilt als Indikator für eine energiedichte, nährstoffarme Ernährung. Darüber hinaus wird postuliert, dass ein hoher UPF-Verzehr die Inzidenz von chronischen, nicht übertrag­baren Erkrankungen erhöht. Diese systematische Übersichtsarbeit hat das Ziel, den aktuellen Stand der Forschung zum Zusammenhang zwischen dem UPF-Verzehr und folgenden Endpunkten zu untersuchen: a) Übergewicht/Adipositas, b) Hypertonie, c) Metabolisches Syndrom (MetS), d) Typ-2-Diabetes (T2DM), e) kardiovaskuläre Erkrankungen (cardiovascular diseases; CVD) und f) Allergien.

Methodik: Für jeden Endpunkt wurde eine systematische Literaturrecherche in drei wissenschaftlichen Literaturdatenbanken durchgeführt und die identifizierten Primärstudien mittels Vier-Augen-Prinzip auf Basis vorab definierter Einschlusskrite­rien geprüft und anschließend analysiert. Zur Beurteilung der methodischen Qualität der eingeschlossenen Primärstudien wurde mittels ROBINS-I das Verzerrungsrisiko (risk of bias) entlang von sieben Domänen bewertet.

Ergebnisse: Insgesamt wurden 37 Studien eingeschlossen, und zwar 14 zu Übergewicht/Adipositas, fünf zu Hypertonie, zwei zu MetS, fünf zu T2DM, zehn zu CVD und eins zu Allergien. Für die Endpunkte Übergewicht/Adipositas, Hypertonie, T2DM und CVD zeigte sich überwiegend eine positive Assoziation zwischen dem UPF-Verzehr und dem relativen Risiko für diese Erkrankungen bei Erwachsenen. Für MetS und Allergien ist die Datenlage unzureichend und für Übergewicht/Adipositas im Kindes-und Jugendalter heterogen, weshalb für diese Endpunkte keine Aussagen zum Zusammenhang mit dem UPF-Verzehr ableitbar sind. Bis auf eine Studie haben alle eingeschlossenen Arbeiten die NOVA-Klassifizierung für die Lebensmitteleinordung nach Verarbeitungsgrad verwendet. Für zehn der eingeschlossenen Studien wurde ein moderates und für 27 Studien ein hohes Risiko für Verzerrungen festgestellt.

Schlussfolgerung: Für vier der untersuchten Endpunkte zeigte sich eine überwiegend risikosteigernde Assoziation zwischen dem UPF-Verzehr und den untersuchten Endpunkten. Allerdings ist die Anwendung des NOVA-Klassifizierungssystems zur Einordnung von Lebensmitteln nach ihrem Verarbeitungsgrad mit Einschränkungen verbunden. Für ein differenziertes Verständnis der diskutierten mit UPF assoziierten Wirkmechanismen (u. a. Energiedichte, Lebensmittelstruktur/-matrix, Prozesskonta­minanten und Zusatzstoffe) und/oder deren Kombinationen mit Gesundheitsrisiken sind einheitliche Kriterien, valide Erhebungsinstrumente sowie die Durchführung weiterer Studien, insbesondere Interventionsstudien, notwendig.

Autor*innen Andreas Dötsch, Hanna Haidar, Judith Lauvai, Manuel Rodriguez Gomez, Manuela Rist, Marina Liaskos, Sandrine Louis, Victor Schmalle, Bettina Hieronimus

Zusammenfassung

Proteine sind essenziell für die menschliche Ernährung, wobei in Deutschland etwa 60 % des Nahrungsproteins aus tierischen Quellen stammt. Diese Abhängigkeit wirft ökologische, ethische und gesundheitliche Bedenken auf. Daher gewinnen neuartige alternative Proteinquellen an Bedeutung, da sie innovative Technologien und Produkte repräsentieren und das Potenzial haben, ökologische, ethische und gesundheitliche Herausforderungen zu bewältigen.

Der vorliegende Bericht gibt einen narrativen Überblick über neuartige alternative Proteinquellen, die pflanzliche, mikrobielle und tierische (Lebensmittelinsekten und In-vitro-Fleisch) Ursprünge haben, wobei der Fokus auf deren ernährungsphysiologi­scher Qualität liegt. Zudem werden die mit den neuartigen alternativen Proteinquel­len einhergehenden Chancen und Herausforderungen sowie Nachhaltigkeitsaspekte beleuchtet.

Pflanzliche Ersatzprodukte werden aus verschiedenen Quellen hergestellt, die sowohl traditionell verzehrte Pflanzen enthalten als auch Pflanzenarten oder -teile, die früher nicht für die Humanernährung verwendet wurden. Die Produkte sind meistens aus vielen Zutaten zusammengesetzt und werden meist tierischen Lebensmitteln in Form, Textur und Geschmack nachempfunden.

Fermentation ist eine zentrale Technologie in der alternativen Proteinproduktion. Hierbei gibt es verschiedene Arten, darunter die klassische Fermentation, Biomasse-Fermentation und precision fermentation. Klassische Fermentation nutzt Mikro­organismen, um Rohstoffe zu fermentieren und dabei Geschmack, Textur oder er­nährungsphysiologische Eigenschaften zu verändern. In der Biomasse-Fermentation bilden Mikroorganismen den Hauptteil der Produkte. Precision fermentation ermög­licht die gezielte Herstellung verschiedenster Proteine und anderer Zutaten mithilfe von Mikroorganismen.

Insekten als Lebensmittel haben in tropischen Regionen von Afrika, Asien und Lateinamerika eine lange kulturelle Tradition. Sie bestehen überwiegend aus Protein, das speziesabhängig ein hochwertiges Aminosäurenmuster aufweist. Die Nutzung von Insekten für die Ernährung birgt jedoch mikrobielle Risiken und kann bei be­stimmten Personengruppen Allergien auslösen.

In-vitro-Fleisch (Laborfleisch, Clean Meat) wird im Labor aus Zellkulturen hergestellt. Die Herstellung von In-vitro-Fleisch ist jedoch noch nicht für die Produktion von großen Mengen bereit und bis das resultierende In-vitro-Fleisch gleichwertig zu herkömmlichem Fleisch ist, bedarf es noch intensiver Entwicklung.

Hinsichtlich der ernährungsphysiologischen Qualität der beschriebenen neuartigen alternativen Proteinquellen fällt auf, dass deren Proteinqualität je nach Quelle und Produkt variiert, wobei Aminosäurenzusammensetzung, Verdaulichkeit und Biover­fügbarkeit entscheidend für die Bewertung sind. Jedoch liefern Proteinquellen in unserer Ernährung nicht nur Aminosäuren, sondern auch Nährstoffe wie Mineralstoffe, Vitamine und bioaktive Substanzen wie Ballaststoffe und sekundäre Pflanzenstoffe, sodass auch die Versorgung mit diesen Nährstoffen betrachtet werden muss. Neben Nährstoffen können die Produkte auch Kontaminanten enthalten oder mikrobielle Risiken tragen. Daher ist es wichtig, diese Risiken zu überwachen und zu minimieren.

Die Produkte, die heute verfügbar sind, haben eine große Bandbreite, was die ein­gesetzten Rohstoffe, Technologien und ernährungsphysiologische Qualität betrifft. Neuartige alternative Proteinquellen könnten eine ernährungsphysiologisch ausge­wogene Alternative zu traditionellen tierischen Lebensmitteln darstellen.

Autor Alfonso Lampen

Zusammenfassung

Der massive globale Plastikeintrag verursacht weltweit relevante Umweltprobleme. So werden u. a. auch die Ernährungs-Ressourcen des Menschen negativ beein­flusst. Aus Makroplastik wird im Laufe der Zeit durch Abrasion und Degradation Mikro- und Nanoplastik. Die möglichen Effekte von Mikro- und Nanoplastik auf den Menschen sind erst in jüngerer Zeit in den Fokus der Wissenschaft gerückt, da mit der Hilfe neuer analytischer Detektionstechniken wie der μRaman-Spektroskopie, Mikro-Fourier-Transformations-Infrarotspektrometer (μFTIR), stimulierter Raman- Streuung (SRS-Mikroskopie) unter Nutzung von Algorithmen und der Pyrolyse mit Gaschromatografie, gekoppelt mit Massenspektrometrie (Pyrolyse-GC/MS), ein sicherer Nachweis möglich ist. So wurde gezeigt, dass sich Mikro- und Nanoplastik über die Luft und das Wasser in der Umwelt anreichert und auch über die Nahrungs­kette in Lebensmittel gelangt. Neben der inhalativen Aufnahme besteht eine signi­fikante orale Aufnahme von Mikro- und Nanoplastik mit der Ernährung. Mikro- und Nanoplastik wurde u. a. in Mineralwasser aus Plastikflaschen und Mikroplastik in Spuren auch im Leitungswasser nachgewiesen, sodass von einer Aufnahme mit der Nahrung ausgegangen werden kann. Obgleich die orale Bioverfügbarkeit von Mikroplastik aufgrund der Partikelgröße und der Wirkung von Barrieren im Darm beim Menschen gering ist, erscheint die orale Aufnahme und Bioverfügbarkeit von Nanoplastik sehr wahrscheinlich, da biologische Barrieren überwunden werden können. Die Wirkmechanismen von Mikro- und Nanoplastik nach oraler Aufnahme im Körper sind noch wenig aufgeklärt. Aufgrund der Barrieren der oralen Aufnahme erscheint das Risiko für Verbraucher*innen mit intakter Darmbarriere hinsichtlich des oral auf­genommenen Mikroplastiks in der Ernährung gering. Die gesundheitlichen Risiken von Nanoplastikmaterial sind jedoch als möglicherweise relevant einzustufen, da Membranen überwunden werden und somit Nanoplastik bioverfügbar wäre. Allerdings fehlen hierzu belastbare wissenschaftliche Daten. Neue Forschungsansätze zur Aufnahme, molekularen Wirkung und Exposition sind notwendig. Strategien zur Nachhaltigkeit sollten die Problematik Mikro- und Nanoplastik in Zukunft deutlicher adressieren, um Lösungsansätze zu generieren und die Nachhaltigkeitsziele zu erreichen.

Autor*innen Dorothee Volkert, Hanna Maria Siebentritt, Isabel Galicia Ernst, Ulrike Bornschlegel, Linda Weber, Johann Ockenga, Michael Hiesmayr

Zusammenfassungen

Analyse und Bewertung der Ernährungssituation und Qualität der Ernährungsversorgung in Krankenhäusern und stationären Altenpflegeeinrichtungen

Einleitung: Den Auswertungen des nutritionDay-Projekts für den 14. DGE-Ernährungsbericht zufolge stellt Mangelernährung auch in Deutschland ein relevantes Gesundheitsproblem dar und Strukturen und Prozesse der Ernährungsversorgung in Krankenhäusern und stationären Altenpflegeeinrichtungen sind unbefriedigend. Die bisherige Datenlage diesbezüglich war jedoch nicht ausreichend, um konkrete Verbesserungsmaßnahmen ableiten zu können. Ziele dieses Projektteils waren daher eine Aktualisierung der bisherigen Analysen zur Beschreibung der Ernährungssituation sowie weiterführende Untersuchungen zur Qualität der Ernährungsversorgung in deutschen Krankenhäusern und stationären Altenpflegeeinrichtungen.

Methodik: nutritionDay-Daten der Jahre 2019–2022 zur Ernährungssituation wurden analog zur früheren Analyse deskriptiv ausgewertet und mit aktualisierten Ergebnissen aus dem Jahr 2018 verglichen, zusätzlich wurden Variablen zur Qualität der Ernährungsversorgung analysiert. Im Rahmen von vier Online-Dialogen mit Mitarbeitenden und Führungskräften aus Krankenhäusern und Pflegeheimen wurden Aspekte der Ernährungsversorgungsqualität diskutiert.

Ergebnisse: Im Berichtszeitraum waren 14 % der 1 755 teilnehmenden Patient*innen untergewichtig, 24 % wiesen einen unbeabsichtigten Gewichtsverlust von über 5 % auf, 9 % wurden vom Personal als mangelernährt eingestuft und 21 % waren gemäß Global Leadership Initiative on Malnutrition (GLIM)-Kriterien schwer mangelernährt. In den teilnehmenden Pflegeheimen wurde bei 23 % der 2 864 Bewohner*innen Untergewicht festgestellt, 13 % hatten einen unbeabsichtigten Gewichtsverlust von mehr als 5 kg im letzten Jahr und 8 % wurden vom Pflegepersonal als mangelernährt eingeschätzt. Die teilnehmenden Krankenhausstationen wiesen im Mittel 8 der 12 untersuchten Struktur- und Prozessindikatoren zur Beschreibung der Versorgungsqualität auf. Bei höherer Anzahl vorhandener Qualitätsindikatoren auf der Station wurden Maßnahmen zur Ernährungsversorgung häufiger ergriffen. Die Online-Dialoge ergaben auf Institutionenebene im Krankenhaus vor allem den Bedarf, mehr Bewusstsein, Ressourcen und Strukturen für eine gute Ernährungsversorgung zu schaffen, im Pflegeheim stand der Mangel an Ernährungsfachkräften im Vordergrund. Auf politischer Ebene fehlt es nach Meinung der Teilnehmenden im Krankenhaus besonders an der Bereitstellung von Budget, an einheitlichen und angemessenen Verpflegungssätzen sowie an Pflichtelementen und Zertifizierungen.

Schlussfolgerung: Um die Ernährungsqualität in Krankenhäusern und Pflegeheimen nachhaltig zu verbessern, werden eine Vereinheitlichung und Verbesserung der Rahmenbedingungen im Hinblick auf finanzielle und fachliche Ressourcen sowie verpflichtende Standards benötigt. Politische Maßnahmen sind dabei unverzichtbar, um allen Institutionen die Implementierung einer guten Ernährungsversorgung zu ermöglichen und die derzeit bestehenden Defizite zu beseitigen.

Kosteneffektivität der Ernährungsversorgung in Krankenhäusern

Einleitung: Mangelernährung verursacht durch Komplikationen und Folgekrankheiten und eine dadurch längere Aufenthaltsdauer im Krankenhaus enorme Kosten für das Gesundheitswesen. In diesem Projektteil wurde die potenzielle Kostenersparnis durch Reduktion der Aufenthaltsdauer infolge einer verbesserten Ernährungsversorgung modellhaft abgeschätzt.

Methodik: Anhand aktueller nutritionDay-Daten aus Deutschland wurden basierend auf einer multivariablen Regressionsanalyse Unterschiede in der Verweildauer in Abhängigkeit von der Verzehrmenge beim Mittagessen am nutritionDay abgeleitet. Unter der Annahme, dass sich bei 30 % der Patient*innen mit reduzierter Verzehrmenge durch eine bessere Ernährungsversorgung ein vollständiger Verzehr erreichen und dadurch die Aufenthaltsdauer entsprechend reduzieren lässt, wurden mit statistischen Daten des deutschen Gesundheitssystems die potenziell dadurch vermeidbaren Kosten berechnet.

Ergebnisse: 3 055 Patient*innen wurden in die Analyse eingeschlossen. Die mediane Aufenthaltsdauer betrug 6 Tage bei Patient*innen, die alles verzehrten (39 %), 7 Tage wenn die Hälfte (28 %), 8 Tage wenn ein Viertel (13 %) und 9 Tage wenn trotz Erlaubnis nichts gegessen wurde (4 %). Mit der angenommenen Steigerung der Verzehrmenge errechnet sich pro 100 Patient*innen eine Reduktion der Aufenthaltsdauer um 20 Krankenhaustage. Bei einer durchschnittlichen Aufenthaltsdauer von 7,2 Tagen in Krankenhäusern in Deutschland bedeutet dies eine Reduktion um 2,7 % und entspricht bei angenommenen Kosten von 560 Euro pro Krankenhaustag Gesamtkosten von jährlich 969 807 535 Euro.

Schlussfolgerung: Die Analyse zeigt ein enormes Einsparpotenzial durch eine bessere Ernährungsversorgung in deutschen Krankenhäusern allein durch die Effekte auf die Verweildauer. Zukünftig wäre eine genauere Abschätzung der Kosten unter Berücksichtigung weiterer mangelernährungsbedingter Kostenverursacher sowie insbesondere eine Berechnung der Kostenbilanz wünschenswert.

Autor*innen Sabine Will, Claudia Meißner, Mario Meixner, Margot Dasbach, Wilfried Rozhon, Nora Brehme, Katja Kröller

Zusammenfassung

Einleitung: Die Bedeutung der Systemgastronomie wächst auch in Deutschland stetig, und könnte aufgrund eines Angebots mit hoher Energie- und geringer Nährstoffdichte zu den hohen Prävalenzzahlen ernährungsmitbedingter Erkrankungen beitragen. Daten zu Angebot und Nutzung von Systemgastronomie in Deutschland liegen bisher nur begrenzt vor, sodass sich das vorliegende Forschungsprojekt der Analyse und Bewertung einer Stichprobe von 14 ausgewählten Restaurant-Ketten in Deutschland gewidmet hat.

Methodik: Anhand der vollständigen Erfassung der von den Unternehmen auf ihrer Webseite zur Verfügung gestellten Informationen zu ihrem Standard-Speisenangebot erfolgte eine ernährungsphysiologisch bezogene Bewertung. Zudem wurde mit einem Mix aus qualitativen und quantitativen Methoden das Nutzungsverhalten in der Zielgruppe der 16- bis unter 35-Jährigen erfasst und entsprechende Handlungsempfehlungen abgeleitet.

Ergebnisse: Alle untersuchten Unternehmen boten sowohl vegetarische als auch vegane Speisen an, wobei sich diese in der Energie- und Nährstoffzusammensetzung von den fleischhaltigen Angeboten kaum unterschieden und auch seltener von den Teilnehmenden gewählt wurden. Der überwiegende Anteil (63–80 %) der von den Teilnehmenden gewählten Speisenkombinationen überschritt die von der Deutschen Gesellschaft für Ernährung (DGE) empfohlenen Richtwerte für Energie, Fett, Zucker und Salz. In der vorliegenden repräsentativen Befragung gaben die Befragten an, die Systemgastronomie mit 30 % häufiger als die Individualgastronomie oder die Gemeinschaftsverpflegung zu nutzen, vor allem aufgrund der guten Erreichbarkeit und dem schnellen Service. Teilnehmende mit höherer Impulsivität und stärker ausgeprägter unhealthy-tasty intuition nutzen häufiger die Systemgastronomie, während stärker gesundheitsorientierte Nutzer*innen die Individualgastronomie bevorzugen. Die befragte Stichprobe beschreibt vor allem positive Einstellungen der Systemgastronomie gegenüber, wobei auf die Gesundheit oder Nachhaltigkeit bezogene Motive eine untergeordnete Rolle zu spielen scheinen.

Schlussfolgerung: Die Ergebnisse zeigen, dass die von der Zielgruppe gewählten Speisen und entsprechende Kombinationen aus der Systemgastronomie als ernährungsphysiologisch kritisch bewertet werden müssen. Die Ergebnisse zur Speisenauswahl und der Verzehrhäufigkeit unterstützen dies. Die erfassten, auf die Verbraucher*innen bezogenen Motive legen nahe, dass bewusst auf die Gesundheit oder Nachhaltigkeit ausgerichtete Strategien kaum effektiv sein dürften, auf den Preis ausgerichtete oder affektiv wirksame Strategien aber als wirksam anzunehmen sind.

Autorinnen Mareike Täger, Linda Chalupová, Silke Thiele

Zusammenfassung

Einleitung: Die Art und Menge eingesetzter Ressourcen zur Erreichung einer ernährungsphysiologisch ausgewogenen sowie nachhaltigeren Ernährung unterscheidet sich je nachdem, welches Speisenproduktionssystem (SPS) verwendet wird. Eine vergleichende Analyse, die die Nachhaltigkeit der SPS Cook & Serve (C&S), Cook & Hold (C&H), Cook & Chill (C&C) und Cook & Freeze (C&F) untersucht, liegt bisher nicht vor. Ziel dieses Projekts ist es daher, die verschiedenen SPS im Hinblick auf eine nachhaltige Produktionsweise zu bewerten, um damit Handlungsempfehlungen für Akteur*innen in Politik und Praxis abzuleiten.

Methodik: Im ersten Schritt wurden für die hier betrachteten vier Nachhaltigkeits-dimensionen Gesundheit, Umwelt, Soziales und Kosten SPS-relevante Indikatoren erarbeitet. Anschließend wurden diese Indikatoren (z. B. Energieverbrauch, Nährstoffverluste) für jedes der vier SPS mithilfe verschiedener Methoden (Literaturanalyse, Modellierung und/oder Befragung) bewertet. Da die Indikatoren in unterschiedlichen Einheiten gemessen werden (z. B. kWh, Euro), wurden diese mittels eines Index so transformiert, dass sie direkt verglichen und in einer Bewertungsmatrix gegenübergestellt werden konnten. Zusätzlich wurden die Treibhausgasemissionen (THGE) der SPS bestimmt. Die Bewertungsmatrix und die berechneten THGE bildeten die Grundlage für den Vergleich der SPS und die Ableitung von Handlungsempfehlungen.

Ergebnisse: Die Ergebnisse zeigen, dass sich je nach betrachteter Dimension und betrachtetem Indikator unterschiedliche SPS als besonders vorteilhaft erwiesen. So schnitt C&S in den Dimensionen Gesundheit und Soziales bei allen Indikatoren am besten ab, in den Dimensionen Umwelt und Kosten (ohne Investitions- sowie Betriebs- und Arbeitsmittelkosten) hingegen C&H. In Abhängigkeit vom Energieträger wurden die niedrigsten THGE entweder bei C&H oder C&S festgestellt.  

Schlussfolgerungen: Diese Studie diente dazu, verschiedene SPS im Hinblick auf eine nachhaltige Produktionsweise zu bewerten. Diese Bewertung kann als Hilfestellung bei der Entscheidung für ein SPS genutzt werden. Bei einer Gleichgewichtung aller betrachteten Indikatoren erwies sich C&S als das vorteilhafteste System. Werden aber höhere Gewichte z. B. auf Energieeffizienz gelegt, dann erzielt C&H bessere Ergebnisse. Eine Nutzwertanalyse, in der die einzelnen Indikatoren gemäß den spezifischen Zielen und Bedürfnissen einer/eines Entscheidungstragenden gewichtet werden, kann bei der Entscheidungsfindung hilfreich sein.